SWR1 3vor8

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Heute mit Maria Meesters, Pastoralreferentin in Baden-Baden. Guten Morgen.

Zwei Männer, zwei Kreuze. Beide hängen sterbend da. Der eine sagt zum andern: Jesus, denk an mich, wenn Du in deiner Macht als König kommst. Eine groteske Szene. Im Lukasevangelium wird sie erzählt. Denn so hat die frühe Kirche Jesus gesehen: als den König, der so elend und ohnmächtig ist, wie ein Mensch nur sein kann. Der leidet, nicht weil er das will, oder weil Leiden besonders gottgefällig wäre, sondern weil er total für die Menschen da war, vor allem für schwache und ausgestoßene. Und so etwas hat zu allen Zeiten bis heute den tödlichen Haß von Autoritäten hervorgerufen. Die Bibel erzählt, daß Jesus kurz vor seinem Tod seinen Jüngern Brot und Wein gereicht hat und dazu gesagt: Nehmet hin, das ist mein Leib für euch. Trinkt aus diesem Becher, das ist mein Blut für euch. Mit andern Worten heißt das doch: Nehmt mich, stärkt euch an mir. Zehrt von mir. Nehmt mein Leben und macht es zur Lebenskraft für euch. Ich möchte auch, ohne die Ehrfurcht zu vergessen, einmal übersetzen: Freßt mich auf! Und spätestens mit diesem Ausdruck bin ich dann auch im eigenen Leben: Gefressenwerden - mindestens die Angst davor, das kenne ich. Der Übergang ist schleichend, von der Freude, gebraucht zu werden, zu dem bedrohlichen Gefühl: jetzt geht es an die Substanz. Und auch das Umgekehrte kenne ich: selber andere zu brauchen, von ihnen zu zehren und dabei Kraft zu gewinnen. Wir leben voneinander, andere von mir, ich von andern - manchmal aus dem Überfluß, wenn Körper und Seele gerade aus dem Vollen schöpfen können. Aber auf die Dauer und aufs Ganze lebt einer von der Substanz des andern. Die Bandscheiben der Krankenschwester und die Lungen des Verkehrspolizisten sind früher oder später verbraucht.
Ich sträube mich immer wieder gegen dieses Lebensgesetz. Aber ich glaube auch, daß es dem Sinn des Lebens näher kommt, ja, daß es glücklicher macht, das Leben zu verbrauchen, statt es zu bewahren.
Wie Jesus gelebt hat und gestorben ist, das zeigt: Zehren und Verzehrtwerden, Saugen und Ausgesaugtwerden sind kein tödlicher Prozeß, sondern bringen Leben hervor. „Nehmt und esst, das ist mein Leib. Nehmt und trinkt, das ist mein Blut, für das Leben der Welt." Genau in diesem Sinne nennt das Evangelium den am Kreuz sterbenden Jesus einen König. Nicht im Herrschen, sondern im Hängen an der Seite von uns Menschen. Unbegreiflich, so wie das Leben überhaupt.

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