SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1
Martin Luther ist wieder da. Pünktlich zum heutigen Reformationstag steht er wieder auf dem Marktplatz in Wittenberg. In seiner Stadt.
Hier hat er in der Stadtkirche gepredigt. Hier hat er an der Universität gelehrt. Und hier haben sie ihm vor vielen Jahren ein Denkmal gesetzt, das in die Jahre gekommen war. Jetzt ist es saniert und steht wieder an seinem Platz.
Und noch einer ist wieder da. Philipp Melanchthon, der Freund und Weggefährte Martin Luthers.
Auch sein Denkmal wurde frisch saniert. Beide haben sie die Reformation aus dem Städtchen Wittenberg nach Europa gebracht. Beide gehören sie zusammen - und keiner hätte ohne den anderen etwas bewirken können.
Dafür hatten die Wittenberger ein feines Gespür. In anderen Städten steht nur Martin Luther. Auf dem Wittenberger Marktplatz stehen sie beide.
Die beiden Freunde, die so unterschiedlich Typen waren. Die beiden Reformatoren, die sich mit ihren Stärken und Schwächen so einmalig ergänzt haben. Und wie haben sie das gemacht?
Martin Luther, das war der wortgewaltige Prediger.
Wunderbare Bilder für Gott hat er gefunden. Mit einem Backofen voll Liebe konnte er Gott vergleichen. Und die Kirchen waren voll, wenn er predigte.
Philipp Melanchthon, das war eher der feinsinnige Diplomat. Einen kleinen Sprachfehler hat er gehabt. So dass er sich nicht zum Redner eignete. Aber er konnte verhandeln, er konnte gut zuhören und nach Kompromissen suchen. Und so wurde er zum Vermittler und Diplomaten.
Zwei Freunde, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Ihre Unterschiede haben sie wohl gespürt. Und damit haben sie es auch schwer miteinander gehabt. Aber sie haben sich nie getrennt.
Jetzt stehen sie wieder auf dem Marktplatz von Wittenberg  - in Bronze gegossen. Dem Künstler ist es dabei gelungen, ihre Unterschiede festzuhalten. Und die hat er - ja - an den Füßen fest gemacht.
Auf der einen Seite des Marktplatzes steht Martin Luther. Breitbeinig steht er da. Frei nach dem Motto: „hier stehe ich und kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen." Das hat er einmal dem Kaiser gesagt. Damals 1521 in Worms.
Auf der anderen Seite steht Philipp Melanchthon. Seine Füße sind in Bewegung. Ein Bein ist vor das andere gesetzt. Er geht auf den Betrachter zu - ja man hat fast den Eindruck, dass er tanzt. Frei nach dem Wort aus dem Alten Testament: „du Gott stellst meine Füße auf weiten Raum". Ihm ist zu verdanken, dass die Evangelischen dem Kaiser 1530 ein gemeinsames Bekenntnis vorlegen konnten. Und der Kaiser hat es akzeptiert.
Martin Luther und Philipp Melanchthon. Beide gehören zusammen. Der eine vertritt einen Standpunkt. Der andere eröffnet ein Gespräch. Das kenne ich auch in meinem Leben. Um etwas nachhaltig zu verändern braucht es beide Haltungen: den klaren Standpunkt und die Bereitschaft, in den weiten Raum des Gesprächs einzutreten.

Teil 2
Heute ist nicht nur Reformationstag. Heute ist auch Halloween. Heute Abend klingeln Kinder vielleicht auch an Ihrer Tür. Und Verkleidet als Halloweengeister, als kleine Hexen oder Teufel, rufen sie: „süßes oder saures?". Was so viel heißt wie: „entweder wir bekommen jetzt Süßigkeiten oder es gibt Saures"!
Was würden wohl Martin Luther und Philipp Melanchthon, die beiden Reformatoren und Freunde dazu sagen?
Martin Luther würde vermutlich sagen: „Das passt gar nicht, denn vor Geistern und vor Toten fürchte ich mich nicht. Warum auch? Wenn ich Gott an meiner Seite weiß, dann haben Tod und Teufel keine Chance."
In einem Lied von ihm heißt es: „ Und wenn die Welt voll Teufel wäre und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir und nicht so sehr, es soll uns doch gelingen". Reformationsfest und Halloween - das geht für Luther bestimmt nicht zusammen.
Und Philipp Melanchthon? Was würde der sagen? Ich glaube er würde seinem Freund zunächst zustimmen. Dann aber zu bedenken geben: und - was bringt der Widerstand? Soll Kirche als Spaßverderber auftreten? Darum: Lass uns lieber drüber nachdenken, was wir aus Halloween machen können!
Im letzten Jahr und in diesem Jahr gibt es eine Aktion, die Melanchthon und Luther sicher gefallen würde.
In Selzen - einem Dorf in Rheinhessen - ziehen in dieser Nacht neben den Kindergruppen auch Konfirmandengruppen durch die Straßen. Doch mit einem großen Unterschied. Die Konfirmandinnen bitten an der Tür nicht um süßes. Sie verteilen süßes.
Sie verschenken Lutherbonbons, die schmecken nach Zitrone, Orange oder Johannisbeere. Lutherbonbons heißen sie, weil auf dem Bonbonpapier Martin Luther mit den Augen zwinkert und daran erinnert: „am 31. Oktober ist Reformationstag".  Daran knüpfen die Konfirmanden dann an. „Haben Sie Zeit für ein kurzes Interview?" fragen sie."
Und dann stellen sie den Leuten 10 Fragen zu Reformation und Kirche. Zum Beispiel:  Wo hat Martin Luther gelebt? Was wollten er und Philipp Melanchthon in der Kirche verändern? Und was sollten wir heute in der Kirche verändern?
An der Tür erleben die Konfirmanden dann oft, dass sogar die anderen Hausbewohner gerufen werden, um die Fragen zu beantworten. Manchmal blättern die Leute sogar im Lexikon. Aus dem Interview wird dann schnell ein längeres Gespräch.
Eine tolle Idee, finde ich, die sicher auch unseren Reformatoren gefallen hätte.
Die Konfirmandinnen und Konfirmanden nehmen den Halloweenbrauch auf und führen ihn weiter.
Nicht: „süßes her, sonst gib es saures". Sondern: „hier ist was Süßes für dich. Können wir miteinander reden?"
Und genau darum geht es doch am Reformationstag. Das wollten Martin Luther und Philipp Melanchthon den Menschen nah bringen. Gott kommt auf uns zu. Geister müssen wir dafür nicht vertreiben.
Wenn Gott zu uns sprechen würde, dann so: „Ich hab was für dich. Ich bin für dich da. Du brauchst keine Angst haben vor großen und kleinen Geistern, vor Tod und Teufel. Aber wenn du doch Angst hast, lass uns miteinander reden. Dann wirst du spüren: ich bin dir nah.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9370
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