Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Stellen Sie sich einmal vor, es gäbe keinen Tod. Versuchen Sie, es sich im einzelnen vorzustellen: ich werde nicht sterben. Mein Mann, mein Freund, meine Mutter, meine Tochter, mein Nachbar - keiner von uns wird sterben. Niemals ein endgültiger Abschied, von niemand. Ein faszinierender Gedanke, verlockend und - erschreckend. Nicht nur, weil die Welt in kürzester Zeit total überfüllt wäre. Vor allem, weil Lebenszeit dann nicht mehr kostbar wäre. Auch, weil nichts, auch nichts Schlimmes unwiderruflich vergehen könnte. Trotzdem, ich träume ihn immer wieder, den Traum vom Leben ohne Tod.
Christlicher Glaube sieht den Tod realistisch und zugleich hoffnungsvoll. Er sagt: der Mensch stirbt unweigerlich, aber er ist es wert, dass man sich seiner weiter erinnert und sich weiter mit ihm verbunden fühlt. Jeder Mensch muß sterben, aber nichts und niemand kann das Leben eines Menschen ungeschehen machen.
Und genau davon spricht der heutige Tag. Allerseelen heißt er im katholischen Kalender, und er sagt: Wer tot ist, ist nicht vergessen, nicht von den Lebenden und nicht von Gott.
Heute, am Allerseelentag nennen viele Gemeinden im Gottesdienst die Toten des vergangenen Jahres mit Namen. Zuvor liest man einen Abschnitt aus dem Johannesevangelium. Dort heißt es: „Jesus sagte zu seinen Jüngern: Euer Herz sei ohne Angst. Glaubt an Gott und glaubt an mich.... Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen ... Wenn ich hingegangen bin und euch einen Platz bereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen." (Johannes14)
Allerseelen - an die Verstorbenen denken, daran denken, was sie uns bedeutet haben. Glauben und hoffen, dass sie bei Gott glücklich sind, glauben und hoffen, dass auch unser eigener Tod einmal Heimgang ist. Für mich gehört ein weiterer Gedanke zu diesem Tag: Indem wir heute für unsere Toten beten, können wir sie noch einmal bewusst Gott anvertrauen, sie Gott übergeben und damit selber loslassen. Vielleicht ist inzwischen Zeit vergangen, so dass wir jetzt Abschied nehmen können. Nicht: sie vergessen, aber: das Leben ohne sie in die Hand nehmen. Mancher darf sich auch jetzt endlich von einem Menschen lösen, der ihm vielleicht das Leben schwer gemacht hat. Wir atmen auch manchmal auf, wenn ein Mensch gestorben ist. Allerseelen ist also ein Tag, der den Verstorbenen gilt und den Lebenden dient.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9305
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