SWR2 Wort zum Sonntag

SWR2 Wort zum Sonntag

Heute ist für mich persönlich ein besonderer Tag. Vor genau 25 Jahren bin ich mit elf weiteren Mitbrüdern zum Priester geweiht worden. Und genau heute darf ich als Bischof in der Kirche, in der ich selbst die Priesterweihe empfangen habe, dieses Sakrament an sechs junge Menschen weitergeben. Das ist für mich ein besonders ergreifendes Geschehen, das unter die Haut geht. Es weckt die Erinnerung daran, wie ich selbst als junger Mann, der nach dem Abitur unmittelbar ins Studium gegangen war, mein: „Herr, hier bin ich, nimm mich, sende mich, wohin du willst" mit ganzem Herzen vollzogen habe. Dabei konnten wir alle nicht ahnen, was dieses „Ich bin bereit" in der Zukunft für Herausforderungen mit sich bringen sollte. Mit unbeschwerter junger Begeisterungsfähigkeit und einem Ernst, wie er nur aus hohem Idealismus geboren werden kann, haben wir damals unser Leben in die Hände des Bischofs gelegt, der uns mit Jesus Christus, mit seiner Sendung aus dem apostolischen Ursprung der Kirche heraus verband.
„Du aber, ein Mann Gottes, ... strebe unermüdlich nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut. Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, zu dem du berufen bist und für das du vor vielen Zeugen das gute Bekenntnis abgelegt hast." (1 Tim 11ff) Diese Worte des Apostels Paulus an seinen Schüler Timotheus kommen mir in diesem Augenblick in den Sinn. Paulus hat dem Timotheus die Hände aufgelegt und ihm so das geistliche Amt übertragen. Und nun erinnert er ihn an das, was ihm in der Weihe als Gabe und Aufgabe anvertraut wurde. Paulus schreibt: „Darum rufe ich dir ins Gedächtnis: Entfache die Gnade wieder, die dir durch die Auflegung meiner Hände zuteil geworden ist. Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit." (2 Tim 1, 6f) Paulus hatte eine tiefgehende Vorstellung von dem, was ein geistlicher Mensch ist: ein Mensch, den Widerstände und Hindernisse nicht mutlos und verzagt werden lassen, sondern der von dem Geist Jesu Christi durchdrungen ist, von seiner Kraft und Liebe, von seiner Klugheit und Besonnenheit. Ein Mann Gottes, der für Wahrheit und Gerechtigkeit unerschrocken einsteht, und deshalb fromm und nicht frömmelnd ist, ein Mensch, der vom Glauben und der Liebe zu Gott durch und durch geprägt ist und der daher standhaft und sanftmütig zugleich ist. Ein Mensch des Gebetes, und daher ein hörender Mensch - hörend auf die Stimme Gottes, hörend auf die Sehnsüchte und Nöte der Menschen.Wir wissen gerade in unseren Tagen wie zerbrechlich Idealbilder sein können - und wie sehr Fehlverhalten gerade das Große in den Schmutz zieht und entsetzlich verunstaltet. Das gilt besonders für den Geistlichen. Paulus wusste, dass wir den Schatz der Gnade in irdischen Gefäßen tragen. Das macht demütig und glaubensstark zugleich. Sehr viel hängt von unserer Glaubwürdigkeit ab. Wenn junge Menschen sich mit ihrer ganzen Begeisterungskraft und dem tiefen Ernst ihrer Liebe ungeteilt dem Dienst Gottes stellen, dann geschieht etwas Großes, das mehr ist als menschliche Bereitschaft, als menschlicher Wille. Dann wagt jemand etwas im Angesicht seiner Schwäche, das ihn vollständig übersteigt. Dann wird etwas von dem Gottvertrauen sichtbar, von dem wir alle leben - und von Gottes Nähe mitten in unserer gottentfremdeten Welt.Wer dieses Wagnis der Liebe mit ganzer Ehrlichkeit eingeht, wird wie von selbst demütig angesichts dessen, was ihm dabei anvertraut wird. Er weiß, dass er seinen Weg nicht ohne Gottes Gnade und Barmherzigkeit und nicht ohne das Vertrauen und das Gebet der Menschen gehen kann. Wir Bischöfe und Priester brauchen Ihr Vertrauen und Ihr Gebet - gerade heute.

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