SWR2 Wort zum Tag
„Ankommen und erwartet werden", so lautet der Titel eines kleinen Buches, das zu einem Rundgang durch die historisch bedeutsame Kirche in Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens einlädt. Ankommen und erwartet werden, diese Worte gehen mir nicht mehr aus dem Sinn; sie haften im Gedächtnis so wie eine besondere, einprägsame Melodie. Ankommen, erwartet werden, diese Worte lassen anklingen, wonach sich Menschen sehnen, was sie brauchen, was sie glücklich macht, und ihnen das Bewusstsein vermittelt: mein Leben kann gelingen.Ankommen und erwartet werden: Schon für die günstige Entwicklung eines kleinen Kindes ist die Gewissheit entscheidend: ich bin erwünscht, ich bin willkommen; ich bin angekommen bei Menschen, die mich mögen, die mein Wachsen und Werden fördern und begleiten, mit Zuneigung und Wohlwollen. Auch im weiteren Verlauf eines Menschenlebens ist das Gelingen vieler Vorhaben eng mit diesem Bewusstsein verknüpft: Ich bin erwartet, gern gesehen, bei Freunden, Weggefährten, in einem Beruf, bei einem Menschen, der mich liebt und dessen Liebe ich erwidern darf. Und erst recht wird das dann noch einmal bedeutsam im Blick auf das Lebensende. Wir werden dort ankommen, das ist keine Frage. Dass wir dann aber auch erwartet und angenommen sein werden, diese Gewissheit ist zeitlebens mit entscheidend dafür, dass wir in unserem Leben und Handeln einen Sinn sehen können. Dass wir ankommen werden an unserem Lebensende, wissen wir; dass wir erwartet werden von einem liebenden Gott, das dürfen wir glauben, darauf vertraue ich. Die Wallfahrten, das Pilgern, drücken diese Hoffnung aus und können dieses Vertrauen stärken. In Santiago de Compostela hat sich seit einiger Zeit eine Gruppe gebildet, die ankommenden Pilgern das Bewusstsein vermitteln möchte, erwartet zu sein. Am Ziel ihrer oft langen und mühsamen Wege werden sie erwartet von Menschen, die sie freundlich empfangen, die ihnen Begleitung anbieten, nicht nur die beim Rundgang durch eine der schönsten romanischen Kirchen, sondern auch beim Nachdenken über den tieferen Sinn ihres Unterwegssein.
Der Weg ist das Ziel. Diese Redewendung hat ihren guten Sinn, wenn es darum geht, dass jeder Augenblick, jeder Schritt einen Wert hat und Beachtung verdient. Wahr ist aber auch: die einzelnen Schritte und Wegstrecken fordern und verlangen nach einer Verheißung - der Verheißung, dass es ein Ankommen gibt, einen Ort, an dem wir bleiben und ausruhen dürfen und an dem jemand da ist, der uns erwartet.