Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Immer am Montag wird in Stuttgart demonstriert: gegen den neuen Bahnhof der unterirdisch gebaut werden soll. Vom Milliardenloch sprechen die Gegner. Sie sehen kaum einen Nutzen, dafür aber Gefahren für Stadt und Umwelt und fordern „oben bleiben". „Oben ohne" sagen die anderen und beschreiben die Vorteile für den Wirtschaftsstandort und die Stadtplanung. Das Vorhaben erhitzt die Gemüter, als ob es um ein atomares Endlager mitten in der Stadt ginge.

Ich gebe zu, dass ich immer noch nicht weiß, was ich von Stuttgart 21 halten soll. Welchem Gutachten soll ich glauben? Denen, die dafür sind oder denen, die das Projekt für unsinnig halten? Ich möchte nicht in der Haut der Politiker stecken, die jetzt mit den Entscheidungen der Parlamente umgehen müssen. Ich finde, es braucht Mut, dafür zu sein. Und es braucht Mut, dagegen zu sein.

Denn: Was werden meine Kinder in 20 Jahren darüber sagen? Werden sie sagen: wie konntet ihr uns diesen Berg von Schulden hinterlassen, für ein Projekt, das kaum einen Nutzen bringt? Werden sie sagen: Warum habt ihr es nicht gemacht und unsere Chancen vertan? Weil ihr keine Großbaustelle in eurer Stadt haben wolltet und wegen ein paar alter Bäume? Da könnten inzwischen längst neue wachsen. Manchmal denke ich, man sollte nur die abstimmen lassen, die unter 35 Jahre alt sind. Um die geht es doch eigentlich und um deren Kinder.

Ich weiß es wirklich immer noch nicht, was ich darüber denken soll. Und ich finde es gut, dass die Kirchen sich nicht dazu äußern, obwohl viele das erwarten. Es geht um Sachfragen, um Verkehrspolitik und Geologie. Was am Ende gut ist für die Menschen und für die Region - das ist keine Glaubensfrage, finde ich.

Eines aber erschreckt mich sehr. Dass beide Parteien, dass Befürworter und Gegner von Stuttgart 21 sich gegenseitig Klientelpolitik unterstellen, Egoismus, und Gewinnstreben. Natürlich hat jeder, der dafür ist oder dagegen Interessen. Ist das schlecht? Sind nur meine Interessen die guten? Und die anderen haben die falschen, die bösartigen Interessen? Darf ich denen, die anderer Meinung sind als ich unterstellen, dass sie nicht auch das Beste wollen für diese Stadt und die Region, und für die Menschen die heute und vor allem morgen hier leben werden?

Ich finde deshalb gut, dass in der Stuttgarter Stiftskirche jeden Tag um 12:30 ein Mittagsgebet stattfindet. Ein Gebet um Gottes Segen für die Stadt und ihre Bürger. Und um gute Entscheidungen. Sie können ruhig ein bisschen darüber lächeln. Meine Erfahrung ist: Mit Gebeten hat schon manche gute Entwicklung angefangen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9116
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