SWR2 Wort zum Tag

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06OKT2010
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Nebel

von

Wer in diesen ersten nebligen Tagen durch den frühen Morgen läuft, der kennt das: Gestalten lösen sich aus der Nebelmasse, erst im letzten Moment werden die Gesichter erkennbar. Manchmal gibt es den ganzen Morgen keine klare  Sicht. Erst spät reißt der Nebel auf und die Sonne strahlt über dem Ort.
Im Nebel können auch Gedanken liegen. Und der ganze Mensch mit Leib und Sinnen. Wie ein Licht im Nebel will die Botschaft von der Liebe Gottes sein. Wir sind geliebt. Ein Wegweiser, mitten im Nebel.
Es ist lange her, da meinte ich, mit dem Auto dringend ein Ziel erreichen zu müssen. Schlechtes Wetter war angesagt, doch ich ließ mich nicht aufhalten. Zunächst war die Sicht noch klar, in der Mitte der Strecke kam dann dichter Nebel, ich sah gar nichts mehr. Es wäre lebensgefährlich gewesen, stehenzubleiben, so suchte ich nach den Leitplanken, ein Wahnsinnsunternehmen, ich habe mich in dieser Nacht buchstäblich von Leitpfosten zu Leitpfosten weitergetastet. Zwischendurch wollte ich es aufgeben, konnte kaum noch, aber ich bin weiter, bis die Nebelbank überwunden war, jeder hellere Schimmer eine kleine Erlösung, es war, als ob eine Stimme mir sagte: „Fahr weiter, du schaffst es." Später musste ich erkennen, dass es gar nicht so wichtig war, an diesem Abend anzukommen. Ich hatte mein Leben riskiert für eine Nichtigkeit. Letztlich hat das dazu geführt, dass ich mein Leben und meine Ziele neu überdacht habe. Noch einmal habe ich mich auf eine Nebel-Fahrt begeben, meine Großmutter lag im Sterben, ich wollte mich von ihr verabschieden. Es war eine grauenhafte Fahrt. Als ich ankam, lebte meine Großmutter noch, drei Stunden lang. Ich war sehr dankbar, dass ich den Weg durch den Nebel gewagt hatte.
Nicht immer weiß man vorher, ob es den Einsatz wert ist, durch den Nebel zu fahren. Doch an Nebelfahrten kommt man nicht vorbei. Manchmal ist man darauf angewiesen, dass man behütet wird, wenn man im Nebel unterwegs ist. Und manchmal darauf, dass einem einer zeigt: Du bist nicht allein. Gerade dann, wenn man meint, man könnte nicht mehr, die eigenen Kräfte wären aufgezehrt. Schau mal, du bist stark, sagt die Bibel, weil: du bist geliebt, und du bist nicht allein, und das ist wie ein Lichtschein in einer verdüsterten Welt.
Der Nebel, und dann, plötzlich, eine Klarheit, die von außen kommt und zeigt: Es wird hell, schau doch hin.
„Was bedeutet Ihnen der Glaube", fragte mich einmal eine Journalistin in einem Interview. Ich überlegte, und plötzlich war es, als ob Nebel aufreißt, und ich wusste, was mich und andere trägt, durch alle Nebel hindurch, in dunklen und in hellen Tagen, liebevoll, geduldig. „Er bedeutet mir alles."

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