Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Man könnte meinen, dass es heute nicht mehr der Rede wert ist, über die Liebe zu sich selbst nachzudenken. Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit und Selbstwert sind in unserer Gesellschaft Schlüsselwörter. Eltern achten darauf im Umgang mit ihren Kindern. Erzieherinnen und Lehrer sind verpflichtet, Kinder und Jugendliche so zu begleiten, dass sie sich als selbstbewusste und selbstsichere Menschen entwickeln können. Das ist gut so. Denn Selbstliebe, so haben wir es gelernt, ist wichtig für unsere seelische Gesundheit und für das soziale Miteinander. Nur wer sich selbst akzeptiert und annimmt, kann auch andere Menschen annehmen und akzeptieren. So übersetzen wir heute  was Christsein ausmacht. „Liebe Gott und liebe deinen Nächsten wie dich selbst" ist die biblische Kurzfassung.
Gleichzeitig wächst die Zahl rücksichtsloser Menschen, die schamlos egoistisch sind und für die scheinbar niemand wichtiger ist als sie selbst. Immer mehr Menschen werden selbstbezogen und verwöhnt erlebt. Unfähig, sich in andere einzufühlen und abhängig davon, stets bewundert und gelobt zu werden. Narzissmus ist das Fachwort dafür. Ganz aktuell beschäftigt sich damit eine Zeitschrift1 in der Ausgabe für den September unter der Überschrift: „Ich! Ich! Ich! Warum es immer mehr Narzissten gibt." Ich lese dort, dass in unserer Zeit narzisstisches Verhalten fast unvermeidlich ist. Dass Narzissten in der Wirtschaft gefragt sind, leichter zu Führungspositionen aufsteigen und berühmt werden. Tatsächlich kommt die Bezeichnung vom Narzissmus ursprünglich aus der griechischen Mythologie. Narziss, der schöne Jüngling, ist so selbstverliebt, dass er alle Verehrerinnen herzlos zurückweist. Im Mythos wird er dafür bestraft. In unserer Gesellschaft werden selbstbezogene und rücksichtslose Menschen scheinbar erst einmal belohnt. Wie es ihnen wirklich geht, ist die Frage. Psychologen sind sich einig, dass der moderne Narzissmus mehr mit Selbsthass zu tun hat als mit Selbstliebe. In sich selbst verliebt zu sein ist nicht das gleiche wie sich selbst zu lieben.
Menschen, die sich selbst lieben, können Schwächen zugeben und nachsichtig sein mit den Schwächen von anderen. Sie anerkennen ihre eigenen Grenzen und deshalb auch die Grenzen anderer. Sie freuen sich über ihre Fähigkeiten und Begabungen und über die ihrer Mitmenschen, die vielleicht ganz anders sind.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8973
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