Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen. „Liebe Gott mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele. Und liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Das ist kurz zusammengefasst das, was Christsein ausmacht: Gott lieben, seinen Nächsten lieben und sich selbst lieben. Um die Liebe zu Gott einzuüben und zu pflegen, haben wir Christen die Bibel, den Gottesdienst und das Gebet. Beispiele für Nächstenliebe gibt es beeindruckend viele von einzelnen ohne dass darüber gesprochen wird. Als sichtbaren Ort für die Nächstenliebe gibt es in den beiden großen christlichen Kirchen die Caritas und die Diakonie.
Ein beträchtlicher Teil der Kirchensteuern wird eingesetzt für soziale Einrichtungen: Altenpflegeheime und Kindergärten, Einrichtungen für behinderte Menschen und für Kranke, allein erziehende Mütter und Arbeitslose. Für manche ist das soziale Engagement von Caritas und Diakonie entscheidend dafür, dass sie Mitglied der Kirche bleiben.
Wenn es um die Liebe zu Gott und um die Nächstenliebe geht ist also klar wann und wo sie gelebt und gepflegt werden können.
Anders ist das mit der Selbstliebe. Das ist jedem selbst überlassen. Man könnte fast meinen, dass man sich darum gar nicht besonders bemühen muss. Und dass dies selbstverständlich ist oder jedenfalls die einfachste Übung wenn es um Liebe geht. Mir ist erst als Erwachsene bewusst geworden, dass es dieses Gebot zur Selbstliebe überhaupt gibt. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst". Bis vor einigen Jahren habe ich in diesem Satz ausschließlich die Aufforderung gehört, meinen Nächsten zu lieben. Seitdem habe ich oft erlebt, wie wenig selbstverständlich es ist, sich selbst zu lieben. Ich erinnere mich an eine ältere Frau, die unglücklich ist, weil sie das Gefühl hat, in ihrem Leben alles falsch gemacht zu haben. Ein Mann Mitte 40 fällt mir ein, der sich vorwirft, dass er nie den richtigen Beruf für sich gefunden hat. Oder eine junge Frau, die ihren Körper hasst und schon mit Anfang 20 mehrere Diäten erfolglos hinter sich hat.
Mit sich selbst einverstanden zu sein, ja, sich zu lieben, mit der eigenen Lebensgeschichte, den verpassten Chancen, mit seinem Körper, den eigenen Ecken und Kanten, das ist manchmal ein ziemlich steiniger Weg. Es beschäftigt mich, welchen ausdrücklichen Ort es dafür in der Kirche geben könnte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8972
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