Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Diesen Urlaubstag werden wir wohl nie vergessen. Es ist fast Mitternacht als ich endlich den Stadtrand von Hulst im Süden Hollands erreiche. Seit sechs Stunden wartet meine Frau dort auf mich, weil sich das Auto selbst verriegelt hat und der Schlüssel drinnen liegt. Mit einem Leihwagen habe ich den Ersatzschlüssel in unserer Ferienwohnung geholt und inzwischen schon manches Abenteuer überstanden. Vor allem der holländische Navi geht mir erheblich auf die Nerven. Bei mehreren Straßensperren und Baustellen will er mich wortreich daran hindern, der Umleitung zu folgen. Ich verstehe kein Wort und kann nur hoffen, dass ich irgendwie und irgendwann ans Ziel komme. Jetzt kann es nicht mehr lange dauern. Aber der Navi hat sich von meiner Nervosität wohl anstecken lassen. Alle dreißig Sekunden berechnet er die Route neu, erklärt mir irgendwas auf Holländisch und zeigt auf dem Display immer neue Spagettiknoten, denen ich folgen soll.
So fahre ich mehrfach kreuz und quer durch die Stadt. Schließlich lande ich auf einem kleinen Parkplatz. Hier war ich vor fünf Minuten schon einmal. Ich muss wenden, auch wenn der Platz dafür kaum reicht. Beim Wegfahren macht das Auto merkwürdige Geräusche. Ich steige aus, um nachzusehen. Sieh an, der Wagen hat ja eine Anhängerkupplung mit deren Hilfe man Pflanzen aus dem Boden reißen kann. Außerdem transportiere ich noch zehn Meter Metalldraht samt zweier kleiner Holzpfosten ab. Nein, ich melde mich um diese Zeit nirgendwo mehr und hinterlasse auch kein Bekennerschreiben. Wer weiß, welche Komplikationen ich damit zusätzlich auslöse. Im Schutze der Dunkelheit entferne ich mich vom Tatort und fahre weiter durch die menschenleere Stadt. Kein Mensch weit und breit, den man nach dem Weg fragen könnte. Da, an einer Einmündung, entdecke ich endlich doch jemanden. Meine Frau! Ich blinke und hupe. Aber die Ehefrau eines Pastors lässt sich kurz vor Mitternacht nicht so ohne Weiteres vom Fahrer eines holländischen Autos anmachen. Es dauert noch eine ganze Zeit, bis wir endlich wieder in unserem eigenen Wagen sitzen und ich ihr von meinen Abenteuern erzählen kann.
Vor allem die Sache mit dem herausgerissenen Zaun beschäftigt mich noch. Eigentlich ist das nicht meine Art, so zu handeln. Aber wie schnell kann man in eine blöde Situation geraten. Unter Stress und nach einem langen, anstrengenden Tag reagiert man manchmal anders, als man das eigentlich möchte und für richtig hält.
Ich muss wohl damit leben, dass ich immer wieder an meine eigenen Grenzen stoße. Und ich kann dem Apostel Paulus nur zustimmen, wenn er schreibt: „Das Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht (Römer 7,18)". Ja so bin ich wohl. Ein Mensch voller Widersprüche. Einer dem manches gelingt, der aber auch immer wieder scheitert und hinter seinen eigenen Ansprüchen zurückbleibt. Einer, der auf Gottes Gnade angewiesen ist. Und das heißt: einer den Gott längst durchschaut hat und den er trotzdem liebt. Wie entspannend! - Finden Sie nicht?

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