Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Ich bin lieber ein barmherziger Heide" - so steht es als Graffiti an einer Kirchenwand. Ein merkwürdiger Spruch. Und warum an einer Kirchenwand? „Ich bin lieber ein barmherziger Heide" - da fehlt doch noch  das „als ...". Vielleicht: „als fromm, aber nicht überzeugend", „als rechtgläubig, aber nicht menschlich", „als Christ, aber nicht barmherzig". Da gibt es mehrere Ergänzungsmöglichkeiten. Was immer sich der oder die dabei gedacht oder welch bittere Erfahrung jemand mit Christen gemacht hat - mich fordert dieser Spruch heraus. Was bin ich für ein Christenmensch im Alltag? Bin ich etwa unausstehlich? Oder fühlen sich Menschen wohl in meiner Nähe? Kommt etwas rüber von meinem christlichen Glauben? In Richtung: freundlich, respektvoll, hilfsbereit. Diese Fragen erinnern mich an eine Geschichte im Neuen Testament. Jesus erzählt von einem Samariter, der sich als einziger einem Notleidenden als Nächster erweist, eben als „barmherziger Samariter". (Lukas 10,25- 37) Mit dieser Geschichte hat Jesus seinem religiösen Umfeld einen Spiegel vor's Gesicht gehalten. Die Samariter waren nämlich in den Augen frommer Juden Ketzer. Und sie mieden jeden Kontakt mit ihnen. Und dann kommt Jesus und stellt so jemanden als Vorbild hin. Ja, so ist Jesus gewesen. Mich fasziniert immer wieder die Freiheit und die Toleranz, mit der Jesus Fremde und Heiden - sprich: Nichtjuden - in die Mitte rückt. Frauen und Männer, die nichts oder kaum etwas von dem Gott Israels wissen, die sich aber so verhalten, wie Gott es sich wünscht. Und ganz anders als viele, die sich zu selbstverständlich für die Auserwählten halten. „Ich bin lieber ein barmherziger Heide" - diesen Spruch an einer Kirchenwand verstehe ich als Appell an mich: „Sei ein barmherziger Christ!"

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8832
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