Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Dialog mit meinem Gärtner" heißt ein französischer Kinofilm. Er erzählt die Geschichte von zwei unterschiedlichen älteren Männern. Der eine ist Künstler, war erfolgreich, ist redegewandt und welterfahren. Er kann sich ein Sommerhaus mit Gärtner leisten. Ausgerechnet ein alter Schulfreund bewirbt sich um diese Stelle. Der ehemalige Eisenbahner ist ruhig, bescheiden und lebensklug. Ein typisches Merkmal für den Gärtner ist, dass er immer ein Taschenmesser und ein Stück Schnur in seiner Hosentasche hat. In etlichen Situationen leisten ihm diese beiden Utensilien gute Dienste. „Es hilft einem aus der Patsche, immer und überall" , sagt der Gärtner im Film.
Schon seit ich Jugendlicher bin, habe auch ich ein französisches Taschenmesser, ein Opinel. Es begleitet mich ständig. In Frankreich gehört so etwas zu einem Mann so wie fast jeder eine Armbanduhr oder einen Ring trägt. Vielleicht ist es ein archaisches Zeichen der Männlichkeit. Seit ich den Film gesehen habe, habe auch ich immer noch ein Stück Schnur bei mir. Es begeistert mich immer wieder, wie oft die kleine Schnur und das Messer nützlich sind.
Das Messer als Brieföffner, zum Brotschneiden, beim Picnic, um kleine Stücke Klebeband herzustellen, zum Abtrennen von herausstehenden Fäden an der Jacke, und und und ... Die Schnur hat schon Blumensträuße zusammengebunden, Päckchen geschnürt, einen Schlüsselbund zusammengehalten, einen Haken durch eine Öse gezogen, einen Verband gehalten, und und und ...
Aber mehr noch als die praktische Seite entdecke ich immer mehr eine symbolische: Das Messer steht für Schneiden und Trennen, die Schnur für Verbinden und Zusammenhalten.
Beides ist im Leben wichtig. Auch, ein ausgewogenes Verhältnis davon zu finden.
Im Film „Dialog mit meinem Gärtner" entdecken die beiden älteren Männer die jeweils andere Welt des Freundes: High society, Genuss und Freiheit aber auch viel Fassade und Einsamkeit auf der einen Seite. Bescheidenheit, Einfachheit und Treue aber auch Hemmungen, Schweiß und Tränen auf der anderen Seite. Schließlich stirbt der Gärtner, aber der Künstler verewigt etwas von ihm. Er malt ein Bild: auf einem Tisch sieht man ein Taschenmesser und ein Stück Schnur liegen. Für sich selbst beschließt der Künstler, ehrlicher und wahrhaftiger zu werden, so wie der Gärtner. Er will sich von Dingen, Menschenund alten Gewohnheiten trennen, um als Mensch weiter wachsen und neue Bindungen eingehen zu können, sich auf neue Verhaltensweisen einlassen zu können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8808
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