Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Die stärkste Waffe des Menschen ist seine Stimme", diesen Satz habe ich auf einem Plakat gelesen. Kein Wahlplakat, sondern ein Werbeplakat. Der Satz stand unter einem Foto von vielen Menschen mit weit geöffneten Mündern. Ja, die Stimme des Menschen kann schon eine Waffe sein. Ein unsichtbares Messer, wenn sie jemandem das Wort abschneidet. Sie kann eine Art Faustschlag sein, wenn sie Menschen niederbrüllt und sie kann wie ein Fallbeil sein, wie die schreckliche Stimme des Nazi-Richters Freisler, bei dem ich jetzt noch eine Gänsehaut kriege, wenn ich sie in Dokumentaraufnahmen höre.
Die menschliche Stimme als Waffe, da steckt schon viel Wahrheit drin, aber natürlich nicht die ganze. Denn die Stimme kann zwar eine Waffe sein, aber auch eine Wohltat. Wenn sie beruhigt, wenn sie besänftigt. Sie kann Balsam sein, Balsam für die Seele. Als ich einmal eine Woche geschwiegen hatte hab ich danach das Sprechen wie ein warmes Bad empfunden. Und zwar das eigene Sprechen wie auch die Stimme des anderen.
Die Stimme des Menschen ist ein ganz feines Instrument. Sie zeigt auch die Gestimmtheit eines Menschen an, ob er es will oder nicht. Sie ist belegt nach Überanstrengung oder bei Spannungen und Nervosität. Brüchig bei starken Gefühlen.
Neben dem Gesicht eines Menschen, seiner Körperhaltung, seiner Gestik und seiner Mimik ist die Stimme sein unverwechselbares Wesensmerkmal. Daran erkennt man ihn. Im oberflächlichen, aber auch im tieferem Sinn. Darum tut es auch so weh, wenn man die Stimme eines Verstorbenen auf Tonbändern oder CD's hört. Weil so schnell wie schmerzlich eine fast greifbare Verbindung zu dem Verstorbenen hergestellt wird. Die Stimme des Menschen hängt eben ganz eng mit seinem Wesen, seiner Person zusammen. Das Wort Person kommt vom Lateinischen persona  und personare heißt durchklingen. Und nicht umsonst ist an vielen Stellen in der Bibel von der Stimme Gottes die Rede. Die zum Wesenskern der Menschen durchklingt. In Träumen, aus dem Himmel oder über den Wassern. In den Stimmen der Menschen klingt wiederum ihr Wesen durch. Und egal ob eine Stimme nun hoch oder tief, weich oder rau ist, Hauptsache, sie ist echt. Das heißt, dass der Mensch nicht versucht sich zu verstellen oder jemand anderes zu sein. Sondern im Einklang mit sich selbst, stimmig eben. Und wenn das, was mit Atem durch den Körper aus dem Mund strömt, ehrlich ist, feinfühlig und mit Liebe gesprochen, dann ist jede Stimme schön.

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