SWR4 Abendgedanken RP

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Übers Singen in der Kirche
Singen macht Spaß. Besonders, wenn man es gemeinsam tut.
Nahezu 11000 Menschen singen im Bereich der Pfälzischen Landeskirche in einem Chor, und es werden von Jahr zu Jahr mehr. Was bewegt diese Menschen da mitzutun? Was bringt ihnen das Singen in der Kirche und für die Kirche? Was macht Singen mit ihnen?
In einem Kirchenchor in der Saarpfalz habe ich mich umgehört.

 

Teil I
Einsingprobe bei der Ev. Kantorei im saarpfälzischen St. Ingbert.....
Jeden Dienstagabend kommen sie zusammen: zwischen 50 und 70 Sängerinnen und Sänger. Und dann wird gut 2 Stunden lang konzentriert geübt für die Auftritte, die anstehen. Es gibt viel zu tun:
Die St. Ingberter Kantorei singt regelmäßig in den Gottesdiensten der beiden protestantischen Stadtgemeinden.
Darüber hinaus bringt der Chor jährlich ein bis zwei große Werke der Kirchenmusik zur Aufführung: Passionen, Oratorien, Messen, im vergangenen Jahr Joseph Haydn Schöpfung.
Demnächst steht ein Sommerkonzert auf dem Programm, unter anderem mit der Lutherischen Messe von Bach. Und dafür muss noch einiges getan werden.

Kantor: „Einmal die Bässe bitte im Takt 82.....

Die Ev. Kantorei hat in der Saarpfalz einen guten Ruf, ihre Aufführungen füllen die Kirche. Viele, die mitsingen, haben hier mehr als eine musikalische Heimat gefunden.

Leben ohne Chor kann ich mir überhaupt nimmer vorstellen. Ich bin im Chor seit wir hier in St. Ingbert wohnen, hab das angefangen einfach, um Leute kennen zu lernen, und das sind eigentlich meine hauptsozialen Kontakte
Mit großen Unterbrechungen bin ich seit rund 50 Jahren hier in diesem Chor. Wir singen in 2 Kirchen: in einer ganz neuen und in einer ganz alten, in der schon meine Urgroßeltern verheiratet worden sind.
Das Singen ist ein guter Ausgleich für meine berufliche Tätigkeit, sowohl musisch als auch in einem gewissen Sinne sportlich.
Also ich bin ja schon seit 39 Jahren im Chor. Letztes Jahr, als die Stimme weg war, war ich todunglücklich.
Ich kam eigentlich unfreiwillig rein, auf Geheiß meiner Frau. Ich dachte, ich könnte nicht singen, hab's dann im Chor gelernt. Und irgendwann ist das dann gekippt und jetzt macht's halt einfach Spaß.

Das Chorsingen schafft zwischen Menschen ganz unterschiedlicher Art eine eigentümliche Verbindung, auch zwischen den Generationen.
Natürlich überwiegt - wie in den meisten Chören mit klassischem Repertoire - auch in der St. Ingberter Kantorei die Generation 50 plus.
Doch in den letzten Jahren sind wieder jüngere Stimmen dazu gekommen
Die Musik an sich bedeutet mir ganz viel, besonders halt diese alte Musik und diese geistliche Chormusik, da bin ich wirklich absolute Liebhaberin seit ich 15 bin. Ich bin damals aufgenommen worden, alle haben mich begrüßt und haben sich gefreut. Diese ganze Stimmung hat sich eigentlich die ganzen Jahre über so gehalten, dass es eine sehr gute Stimmung ist unter den Leuten, dass es eine sehr schöne Gemeinschaft ist und dass trotzdem kein Zwang dahinter steckt.
Martin Luther hat einmal gesagt:
„Es besteht kein Zweifel, dass viele Ansätze zu guten Eigenschaften in solchen Gemütern bestehen, die von der Musik ergriffen werden. Von denen, die aber dadurch nicht angerührt werden, glaube ich, dass sie Klötzen und Blöcken ganz ähnlich sind".

Teil II
Singen verbindet Menschen miteinander, und: es hat eine wohltuende Wirkung auf unser Gemüt.
Helmut Haag ist Chorleiter der Ev. Kantorei im saarpfälzischen St. Ingbert:

Das Singen ist etwas ganz Ursprüngliches im Menschen. Es hilft ihm, da denk ich auch an ganz früher, über Dinge hinwegzukommen, die ihn belastet haben. Die Leute haben früher viel gesungen, viel mehr gesungen als wir heute. Wir hören uns heute alles an, sind eingespannt in einen engen Rahmen im Alltag, und das Singen hat etwas Befreiendes. Es ist kein Instrument, das man bedient, ein äußerliches Instrument, wie eine Geige oder ein Klavier, sondern es ist ja alles nicht so ganz greifbar, was in einem drin ist.

Singen und Musizieren rührt Tiefenschichten der Seele an und öffnet uns.
Es trägt uns über die eigene kleine Welt, die manchmal eng werden kann, hinaus.
Menschen, die regelmäßig in Kirchenchören mitsingen, erleben diese erhebende Wirkung bei gemeinsamen Proben und Aufführungen.

Eine Chorsängerin:

Ich komme hierher, ich habe acht Stunden Schule hinter mir, zwischendurch schnell Unterrichtsvorbereitung, ich hole meine Kinder vom Kindergarten ab, mach schnell was zu Essen, wir trinken gemeinsam Kaffee, ich les ihnen was vor, ich bring sie ins Bett. Dann denk ich: O je! Jetzt auch noch los in den Chor, und ich raff mich jedes Mal auf, jedes Mal bin ich kurz davor zu sagen, oaaah, soll ich mich jetzt nicht lieber aufs Sofa setzen, und dann raff ich mich auf und fahre in den Chor, und dann, ja, und dann singe ich und mach in der Zeit eigentlich nichts anderes.

Und hinterher ist alles wie verwandelt!
Martin Luther hat die verwandelnde Energie, die vom Singen und Musizieren ausgeht, so beschrieben:
„Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik."
Singen und Musizieren haben bei Luther einen ganz hohen Stellenwert.
Die Musik kommt für ihn direkt nach dem Evangelium, der frohen Botschaft.
Gott kann sich nämlich der Musik bedienen - auch unserer Stimmen, mit denen wir singen - , um auf unser Innerstes Einfluss zu nehmen. Eine Chorsängerin:

Musik macht glücklich, befreit die Seele, macht den Kopf frei und am Ende der Chorstunde bin ich ausgeglichen und zufrieden.

Von der nahezu exorzistischen Kraft, die vom Singen und Musizieren ausgeht, erzählt auch eine uralte biblische Geschichte

Teil III
Bis heute gehen von den Kirchen starke Impulse aus für das Singen und Musizieren in der Gesellschaft. Wer singt und musiziert, kommt in Kontakt mit sich selbst und mit anderen.
Und wer in einer Kirche singt, kommt in Kontakt mit der Melodie des Lebens, die von Gott selbst komponiert worden ist.
Das Kyrie, das die Ev. Kantorei St. Ingbert hier probt und schon in unzähligen Varianten gesungen hat, ist ein alter Gebetsruf, der die Bedürftigkeit des Menschen auf den Punkt bringt.
Kyrie eleison heißt: Erbarme dich, Herr! Nimm dich meiner Situation an!
In einer erbärmlichen Lage, erzählt die Bibel, war der König Saul.
Ein mächtiger Mann im alten Israel, aber an einer Stelle seines Lebens ist er ganz klein und hilflos, steht nicht souverän über den Dingen, wie sich das für einen König gehört.
Er ist etwas Schwerem ausgeliefert, das hat ihn besetzt und nimmt seiner Seele die Lebenslust. Die Bibel spricht von einem „bösen Geist", der ab und an über Saul kommt.
Und dann leidet der ganz Hof unter seiner düsteren und aggressiven Innenwelt, vor allem aber er selbst.

Saul ist vor allem nicht mächtig genug, um sich mit eigner Kraft dieses nach unten Ziehende aus der Seele heraus zu schaffen.
Da braucht es eine Art Exorzismus!
Ein Harfenspieler namens David beherrscht den.
Es ist ein musikalischer Exorzismus:
Und die Bibel erzählt:
„Sooft nun der böse Geist von Gott über Saul kam, nahm David die Harfe und spielte darauf mit seiner Hand, da wurde es Saul leichter, und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm."
David gilt als der Urvater der Kirchenmusik.
David mit der Harfe und all die andern, die musizieren oder singen - Singen ist ja nichts anderes als Musizieren mit der eigenen Stimme! - , sie bauen mit dem, was sie da machen, ein eigentümliches Kraftfeld auf.
Einen Klangraum, unsichtbar aber hörbar.
Eine Atmosphäre, in der die Melodie des Lebens erklingt.
Und die macht etwas mit denen, die sich ihr aussetzen.
Die sog. „Musica sacra", die „heilige" Musik, also die geistliche Musik und das Singen in der Kirche lässt die Melodie des Lebens in unsrer Welt laut werden.
Diese Melodie hat sich seit Ostern als unzerstörbar erwiesen.
Sie vermag bis heute dunkle Klänge aus unserem Herzen auszutreiben!
Martin Luther hat gesagt:
„Wir wissen, dass die Musik den Dämonen verhasst und unerträglich ist. Und ich scheue mich nicht zu behaupten, dass es nach der Theologie keine Kunst gibt, die der Musik gleichgestellt werden könnte. Sie allein bringt nach der Theologie das zuwege, nämlich ein ruhiges und fröhliches Herz. Dafür ist ein klarer Beweis, dass der Teufel, der Urheber trauriger Sorgen und beängstigender Unruhen, beim Klang der Musik fast genau so wie beim Wort der Theologie flieht."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8384
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