Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ein Problem so zu lösen, dass alle gewinnen und keiner verliert - das ist ideal. Dann kommen alle zu ihrem Recht und keiner kommt zu kurz. Eine win-win-Situation nennt man das: in der Familie, am Arbeitsplatz und sonst in der Welt. Jeder profitiert, jeder hat für sich Vorteile und keiner muss das Gefühl haben, er ist der Dumme, der immer nur geben muss. Es wäre gut, wenn es so gehen könnte: Der Wohlstand in den armen Ländern wächst, weil dort Arbeitsplätze geschaffen werden und die Leute ordentlich bezahlt werden, und hier bei uns wird trotzdem kein Betrieb geschlossen. In einer Familie können Vater und Mutter ihren Beruf ausüben und es gibt trotzdem keinen Stress für niemanden und alle fühlen sich wohl und gut aufgehoben. Toll wäre das. Wie viele Paare träumen davon.
Aber die meisten erleben dann auch: bei dem Versuch, diesen Traum zu verwirklichen, gibt es Stress und oft genug auch Streit. Jeder möchte auf seine Kosten kommen - und dann fängt das Feilschen an: wer macht den Abwasch, wer bringt das Auto zur Werkstatt, wer bleibt zu Hause, wenn das Kind krank ist. Viele von Ihnen werden das kennen. Und am Ende haben oft beide das Gefühl, dass sie die Zeche zahlen und eben nicht wirklich auf ihre Kosten kommen. Das ist zwischen Paaren so und am Arbeitsplatz und überall, wo es ums Teilen und Aufteilen geht.
Kann es sein, dass das Miteinanderleben von Menschen nicht bloß ein Handeln und Aushandeln ist. Oder, wenn man es so sieht - haben wir dann womöglich vergessen, dass man bei jedem Handel immer auch geben muss, wenn man etwas gewinnen will?
Ich glaube, miteinander leben funktioniert nur so: Wenn Menschen bereit sind zu geben. Und zwar nicht wie bei einem Handel, um dann umso mehr für sich selbst zu gewinnen. Sondern damit andere leben können. So jedenfalls empfiehlt das der Apostel Paulus. Er weist auf Jesus hin und schreibt über ihn: „Er verzichtete auf alle seine Vorteile und stellte sich auf dieselbe Stufe wie ein Diener. Er wurde einer von uns - ein Mensch wie andere Menschen". Und das empfiehlt Paulus dann auch denen, die gut miteinander auskommen wollen. „Jeder soll auf das Wohl der anderen bedacht sein, nicht nur auf das eigene Wohl" (Phil 2,4)
Ich verstehe das so: Win-win-Situationen, in denen alle bloß immer gewinnen - das ist eine Illusion. In der Familie und auch sonst in der Welt. Wenn Menschen gut miteinander auskommen wollen, dann müssen sie teilen, abgeben, verzichten. Natürlich nicht immer dieselbe oder derselbe. Jeder ist mal dran. Aber wahrscheinlich zuerst die, die lange Zeit gewonnen haben. Nur so, glaube ich, haben am Ende alle mehr vom Leben.

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