Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

 Das Spiel mit Versuchungen ist uralt. Und immer wieder reizvoll. Und jede Zeit hat so ihre eigenen Dinge, die den Menschen schon mal „eine Sünde wert" scheinen. Ob es leckere Kalorien sind, an denen man nicht vorbei kommt, oder eine erotische Gelegenheit, die sich bietet, oder die Aussicht, sich unbemerkt einen Vorteil zu verschaffen, es läuft eigentlich immer gleich ab. 
Bei der Ur-Versuchung geht es nicht um eine Tafel Schokolade, die sich schlimmstenfalls halt auf die Hüften setzt. Es geht um viel Wichtigeres. Es geht um alles oder nichts, um Leben und Tod. Kaum ist der Mensch erschaffen, so berichtet die Schöpfungsgeschichte, da kriecht auch schon die Versuchung in ihm hoch. Und zwar im wörtlichen Sinn, im Bild einer Schlange. Die Versuchung kommt als Misstrauen, als Zweifel, ob Gott es tatsächlich so gut mit uns meint, wie er sagt. Die ersten Menschen haben diesem Zweifel mehr geglaubt als Gott, und so kam es zu dem Riss in der Schöpfung, an dem wir bis heute leiden.
Auch von Jesus wird eine Versuchungsgeschichte überliefert; sie liest sich wie ein Theaterstück. In einer grandiosen Inszenierung tritt die Versuchung auf, in der Gestalt des großen Versuchers, des Teufels. Der bietet Jesus drei verlockende Dinge an: einen Zauber, mit dem Steine zu Brot werden, Macht über die ganze Welt und allen Reichtum, den man sich nur vorstellen kann. Aber Jesus besteht diese Bewährungsprobe. Sein Vertrauen auf Gott ist stark genug, er braucht keine Allmachtsphantasien. Er will kein Übermensch werden, er bleibt Mensch, bedürftig, angewiesen auf alles Mögliche, das er nicht selbst in der Hand hat.
In vielen Geschichten der Bibel geht es darum, ob Menschen darauf vertrauen können, dass für sie gesorgt ist - oder doch dem Zweifel in sich nachgeben, der sagt: Siehst du nicht, dass es anderen besser geht als dir? Pass bloß auf, dass du nicht zu kurz kommst. Und die Versuchungen, die uns jeden Tag umspielen, flüstern uns genau dasselbe ein: Warum sollst du dir denn nicht nehmen, was du kriegen kannst? Das tut doch jeder.
Widerstehen kann ich immer dann, wenn ich gewiss bin, dass ich nicht zu kurz komme. Dann brauche auch ich keine Phantasien von Allmacht und Reichtum, und noch nicht mal eine Tafel Schokolade. Meistens jedenfalls.

 

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8190
weiterlesen...