Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst? 

Wenn man sich die bisherige Geschichte des Universums mal als einen Tag vorstellt und in eine Skala mit 24 Stunden einteilt, dann wäre unsere Sonne etwa um 17 Uhr entstanden, um 23 Uhr die Alpen, um 23.55 Uhr tauchen die ersten menschenähnlichen Wesen auf, und unser lieber Verwandter Ötzi gerade mal drei hundertstel Sekunden vor Mitternacht.
So faszinierend solche Modelle sind, vorstellen kann man sich's nicht wirklich. Man wird schwindlig, wenn man sich klar macht, was das bedeutet, mit was für Zeiträumen man da eben mal so jongliert. Und der Mensch? Ach je, der Mensch, der schrumpft zur Eintagsfliege, ach, was sage ich, zur Einsekundenfliege, und das ist noch geschmeichelt. Und was für die Zeit gilt, das gilt auch für die Vielfalt der Arten und ihre Spezialisierung. Es ist unglaublich, wie jedes Lebewesen an die jeweiligen Bedingungen seiner Umgebung angepasst ist und mit ihnen zurechtkommt. Und wie viele Arten seit Beginn des Lebens schon über die Erde gegangen sind und sie belebt haben.
Man kann schon ganz schön ins Grübeln kommen, wenn man sich die Dimensionen der Schöpfung bewusst macht und in jedem Frühjahr spürt, mit welch überwältigender Vitalität alles treibt und wächst und lebt. Für die Natur ist es völlig gleichgültig, ob es mich gibt. Sie würde genauso blühen, wenn ich nicht da wäre, um sie zu sehen und mich an ihr zu freuen.
Was ist der Mensch? Diese Frage treibt uns um, seit wir angefangen haben, aufrecht zu gehen, uns selbst wahrzunehmen und eben Fragen zu stellen. Was ist der Mensch? Eine Eintagsfliege? Eine Sackgasse der Evolution? Oder doch die Krone der Schöpfung?
Man hat schon viele Antworten versucht. Eine spricht mich besonders an. In einem Psalm hat einer gebetet: Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst? Gott kommt hier ins Spiel. Aber eben nicht als glatte Antwort, sondern als Antwort in der Frage - und als Frage in der Antwort.
Genau so geht es mir auch. Ich spüre, dass da mehr ist als nur Natur, dass ich irgendwie gesehen bin und gehalten werde, ich sage: von Gott. Aber das macht die Frage, die ich mir selbst bin, nicht überflüssig. Im Gegenteil, sie wird noch lauter. Gott ist für mich Antwort, ja, aber ebenso bleibt er Frage.

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