Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Das Gebot Jesu oder: Woran man Christen erkennt (nach Johannes 13)

Woran erkennt man Christen? Auf den ersten Blick eigentlich gar nicht, natürlich nicht, denn sie leben ja in derselben Welt wie alle anderen, freuen sich an denselben Maiglöckchen, haben dieselben Sorgen und fiebern mit denselben Fußballvereinen. Und sonst? Sind sie nicht doch irgendwie zu erkennen? Na ja, sagen wir mal: sie sollten zu erkennen sein. Denn der Auftrag ist ja so einfach wie eindeutig. Lieben sollen sie. Die so genannte Nächstenliebe ist auch für Nichtchristen zur Kurzformel des christlichen Glaubens geworden.
Um Nächstenliebe zu lernen, schickt Jesus seine Freunde auf ein ganz spezielles Übungsfeld. „Daran wird man erkennen, dass ihr zu mir gehört, wenn ihr einander mit Liebe begegnet." Das sagt er, als er zum letzten Mal mit ihnen zusammen ist. Es ist sozusagen sein Testament; heute wird es in den katholischen Gottesdiensten gelesen. Einander sollen sie lieben, die Christen. Erst mal das Naheliegende, erst mal bei sich bleiben, erst mal die Brüder und Schwestern annehmen, ertragen und mittragen. Nicht die ganze Welt, sondern mit dem anfangen, was ganz alltäglich ist. Zum Beispiel die Menschen, die auch an Christus glauben, aber vielleicht in anderen Formen und Traditionen, mit Gesten und Symbolen, die mir fremd sind.
Was Jesus seinen Freunden hier aufträgt, nennen wir heute Ökumene. Ist uns wirklich bewusst, dass dies unser Erkennungszeichen ist? Im Umgang der christlichen Kirchen miteinander scheint es oft wichtiger, sich abzugrenzen und das Eigene zu behaupten als das Gemeinsame zu sehen. Mich erinnert das manchmal mehr an den Stil politischer Parteien, die auch immer demonstrieren müssen, dass sie allein im Recht sind und wissen, was richtig ist. Geht es in der Ökumene wirklich nicht anders als mit Vorsicht, Proporz und Diplomatie?
Doch, es geht. Auch das erlebe ich manchmal, dass es unglaublich einfach und selbstverständlich sein kann. In konfessionsverbindenden Familien, unter Freunden, die aus unterschiedlichen Traditionen leben, mit Kollegen anderer Kirchen. Christen unter sich. Ob wir für andere glaubwürdig sind, zeigt sich daran, wie wir leben, wenn wir ‚unter uns' sind. Ökumene ist nichts Zusätzliches, auf das man auch verzichten kann, wenn es schwierig wird. Sie ist der Anfang der christlichen Kirche - und ihre Zukunft. Ach ja: und vor allem ihre Gegenwart.

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