Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Meine Herren, heute sehen Sie mich Gläser abwaschen
Und ich mache das Bett für jeden
Und Sie geben mir einen Penny und ich bedanke mich schnell.
Und Sie sehen meine Lumpen und dies lumpige Hotel
Und Sie wissen nicht, mit wem sie reden“

So singt die „Seeräuber-Jenny“ in Bert Brechts „Dreigroschenoper“. Schön ist sie, die Jenny, Zimmermädchen und Bardame in einer zweifelhaften Absteige. Schön, weil sie noch eine Sehnsucht in ihrem Herzen trägt. Die Sehnsucht, dass eines Tages alles anders wird. So singt sie weiter:

„Eines Abends wird ein Geschrei sein am Hafen
Und man fragt: was ist das für ein Geschrei?
Und man wird mich lächeln sehn bei meinen Gläsern.
Und man sagt: Was lächelt die dabei?
Und ein Schiff mit acht Segeln und mit fünfzig Kanonen wird liegen am Kai
Und das Schiff mit acht Segeln und mit fünfzig Kanonen, wird entschwinden mit mir...“

Jenny träumt von der großen Freiheit. Sie singt all denen aus dem Herzen, die heute zur Dienstbotenklasse zählen: Den Zimmermädchen und –frauen in den Hotels, die auch von uns gnädig ein paar Cents oder Euros in die Hand gedrückt bekommen, den Klo-frauen und –männern auf Bahnhöfen und Raststätten, de-nen wir klimpernd ein Trinkgeld auf den Teller werfen, den Putzleuten drinnen und draußen, den Ein-Euro-Jobbern, denen man für gute Arbeit keinen Lohn bezahlt. Tag und Nacht, oft rund um die Uhr, sind Dienstleisterinnen und Dienstleister für uns da. Die Kassiererinnen an den Scanner-Kassen werden sich in Jenny ebenso wiederfinden wie die Zeitungsausträgerinnen und die Kellnerin in der Kneipe um die Ecke.
Ob sie wohl noch wie Jenny eine Sehnsucht im Herzen tragen? Die Sehnsucht nach dem großen Schiff, mit dem sie in die Freiheit segeln – hinüber an ein anderes Ufer, in ein anderes Land, wo die Würde wohnt, wo sie jemand sind, wo ihnen ein wenig Anerkennung winkt?
Müssen sie dazu eigentlich auswandern? Oder könnten nicht wir, die wir auch heute am Samstag und morgen am Sonntag ihre Dienste in Anspruch nehmen, ihnen zu mehr Würde verhelfen? Viele wären schon glücklich, wir würden sie als Menschen wahrnehmen, ihnen ein wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung schenken, sie beim Namen nennen und ganz einfach „Danke“ sagen.






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