Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„In der Kirche geht es auch nicht anders zu als anderswo". Das sagen viele Leute. Und das ist nicht nur eine Feststellung, da steckt auch der Vorwurf drin: „Eigentlich sollte die Kirche anders sein". Grund zur Kritik gibt es ja reichlich in den letzten Wochen.

Als z.B. die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, mit 1,54 Promille über die Rote Ampel gefahren ist, da habe ich mit meinen Schülern darüber diskutiert. Einige haben gemeint: Eigentlich ist es gar nicht so schlimm, was sie getan hat, aber als Christin - und erst recht als Bischöfin - hätte sie sich anders verhalten müssen.

In der Kirche geht es auch nicht anders zu als anderswo. Das hat sich für mich aber besonders darin gezeigt, dass manche in der Kirche sich insgeheim über den Fehler der Bischöfin gefreut haben, weil sie mit Margot Käßmann als Ratsvorsitzender nicht einverstanden waren. Auch so ist Kirche.

Wie die Kirche eigentlich sein sollte, das hat Jesus einmal seinen Jüngern erklärt. Unter ihnen gab es öfter Streit, wer am meisten zu sagen hatte. Und oft haben sie auch miteinander gezankt, wer von ihnen Jesus am nächsten stand. Mitten in so eine Streiterei hat Jesus folgendes gesagt: „Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch ich bin nicht gekommen, um mir dienen zu lassen, sondern um zu dienen." (Mk 10,43-45)

Das soll also die Kirche sein: Eine Gemeinschaft von Menschen, in der es nicht darum geht, wer der Größte ist. Eine Gemeinschaft, in der ich nicht zeigen muss, was ich alles drauf habe, und meine Schwächen vertusche. Eine Gemeinschaft, in der ich mich nicht mit den anderen vergleiche, mich freue, wenn andere Fehler machen und mich ärgere, wenn ihnen etwas gelingt.

Stattdessen soll die Kirche eine Gemeinschaft sein, in der sich Menschen gegenseitig dienen. Und zwar so wie Jesus das getan hat. Jesus hat den Menschen, denen er begegnet ist, gezeigt dass sie wertvoll und willkommen sind, dass sie in seinen Augen einzigartig sind und sich deshalb nicht vergleichen müssen. Und er hat Menschen, die Fehler gemacht haben, einen neuen Anfang geschenkt.

Ich finde etwas davon, was Kirche eigentlich sein kann, hat auch Margot Käßmann gezeigt. Sie konnte zu ihrem Fehler stehen und musste ihn nicht klein reden. Sie hat nicht mit aller Macht ihr Amt festgehalten bis es gar nicht mehr anders ging. Vielleicht auch deshalb, weil sie gewusst hat: In der Kirche kommt es nicht darauf an, wer der Größte ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8082
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