Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Liebe deinen Nächsten". - Jesus hat gesagt, dass wir das tun sollen. Aber was heißt das genau? Wie würden Sie Nächstenliebe erklären?

Wie Nächstenliebe ganz konkret aussehen kann, habe ich neulich bei einem Konzert des Bluesmusikers Henrik Freischlader erlebt: Schon das erste Lied war ein Kracher, und hat das Publikum richtig in Fahrt gebracht. Anstatt danach mit dem nächsten Lied weiter zu machen, hat Henrik Freischlader auf einen Zuhörer in der ersten Reihe gezeigt und ins Mikrofon gesagt: „Dir ist es zu laut, stimmt's?" Irgendwie hat er ihm das angesehen. Daraufhin hat er das Konzert unterbrochen und einen Helfer nach draußen geschickt. Nach einigen Minuten ist der Helfer zurückgekommen, mit einer Plexiglasscheibe in der Hand und Freischlader hat die Scheibe vor seine Verstärker-Box gestellt. So konnte der Schall nicht mehr direkt ins Publikum abstrahlen. Erst dann kam das zweite Lied.

Ich war schon auf vielen Konzerten, aber so was habe ich noch nicht erlebt, und diese kleine Begebenheit hat mich sehr beeindruckt. Ich denke, genauso hat Jesus das mit der Nächstenliebe gemeint. Wenn ich sehe, dass es einem anderen Menschen nicht gut geht, habe ich zwei Möglichkeiten. Entweder ich fühle mich einfach nicht zuständig und schaue weg. Oder ich frage mich: „Vielleicht kann ich ja helfen?" Ich denke, das ist der entscheidende Schritt. Nächstenliebe heißt: ich fühle mich zuständig für den Menschen in meiner Nähe, der meine Hilfe braucht.

„Hilfe" muss dabei gar nichts Weltbewegendes sein. Natürlich ist es Nächstenliebe, wenn jemand wie Mutter Theresa in den Slums von Kalkutta den Ärmsten der Armen hilft. Aber Nächstenliebe beginnt schon viel früher. In ganz alltäglichen Begebenheiten. Ich habe einmal von einem älteren Mann gehört, der, bevor die Kehrmaschine in seine Straße kam, den Dreck vom Randstein Richtung Straße gekehrt hat. Als er gefragt wurde, warum er das tut, hat er gesagt: „Damit der Fahrer es ein Bisschen leichter hat". Auch das ist Nächstenliebe.

Vielleicht kann ja derjenige seinem Nächsten leichter helfen, der selbst Hilfe erfahren hat - Hilfe von Menschen, aber auch von Gott. Drei Tage nach dem Konzert habe ich mir eine CD von Henrik Freischlader gekauft. Im Heftchen, das der CD beigelegt war, bedankt er sich bei unheimlich vielen Menschen - ich schätze 200 Namen stehen da mindestens. Und dann steht da noch: „Immer wieder will ich auch Gott danken, für seine Liebe und seinen Humor, dafür dass er mich begleitet und in meinem Herzen ist". Ich finde, das hat man bei diesem Konzert gemerkt

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8078
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