Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Menschen suchen ein Opfer, wenn sie nicht mehr weiter wissen. Irgendwer muss ja Schuld sein daran, dass die Verhältnisse so unübersichtlich und erschreckend geworden sind, wie sie sind. Und wenn man den hat, der daran Schuld ist und ihn aus der Welt schafft - dann wird alles besser.

So war es, als man Hexen verbrannt hat. Ihnen gab man die Schuld für Pestepidemien und Viehsterben, für Unglück und Verbrechen. Deshalb mussten Frauen auf den Scheiterhaufen, die irgendwie anders waren. Immer wieder hat man auch gesagt: Die Juden sind Schuld an unserem Unglück. Dann kam es zu Judenpogromen in Europa. So musste sich dann niemand fragen, wo denn sonst die Ursachen liegen könnten für Fehlentwicklungen im Land. Und auch heute werden Schuldige gesucht und zu Opfern gemacht. In der Politik muss manchmal einer bloß deshalb zurücktreten, damit die anderen weiterregieren können..

Als sie damals, am Freitag vor dem Pessachfest, Jesus hingerichtet haben, war es dasselbe. Die Menschen waren verunsichert von dem, wie er ihnen Gott nahe gebracht hatte. Er hat ihnen nahe gebracht, dass Gott nicht nachrechnet, was einer geleistet hat. Und dass er einem nicht vorrechnet, was man alles verkehrt gemacht hat. Dass auch die Armen und die Gescheiterten bei ihm willkommen sind. Aber das wollten viele damals nicht hören. Das brachte ihr ganzes Denken durcheinander. Er machte sie unsicher. Das konnten sie nicht ertragen. Deshalb haben sie Jesus verhaftet und gekreuzigt. So sollte jeder sehen, dass er ein Verbrecher war. Niemand musste wegen ihm sein  Denken und Glauben ändern. Die Leute wollten ihre Ruhe haben. Deshalb haben sie ihn zum Opfer gemacht.

Und Jesus hat das mit sich machen lassen. Ich glaube: er wollte daran festhalten: So ist Gott! Den Opfern ist Gott besonders nahe - sogar wenn sie selbst es gar nicht mehr glauben können. Jesus selbst hat geschrien: „Warum hast du mich verlassen, Gott?" Aber am Ende hat sich gezeigt: Gott war bei ihm. Gott steht auf der Seite der Opfer.

Jesus hat daran festgehalten: So ist Gott. Nicht weil er Recht behalten und ein Märtyrer werden wollte. Er hat es für die Menschen getan, damit sie es auch glauben können. Und danach leben. Ich glaube, das könnte ein Trost sein für alle, die zu Opfern werden. Und die andere zu Opfern machen, die müssen sich das sagen lassen.

Damals unter dem Kreuz hat ein römischer Soldat gesagt: „Dieser ist Gottes Sohn gewesen" (Mt 27,54). Das ist meine Hoffnung für die Welt, in der Menschen zu Opfern werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=7974
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