SWR2 Wort zum Tag

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Heute, am 23. Februar, wäre Dolly zehn Jahre alt geworden. Leider ist sie bereits mit sechs Jahren, früh vergreist, gestorben. Dolly war ein Schaf - ein besonderes Schaf, sonst würde ihrer heute nicht gedacht. Zum ersten Mal war es amerikanischen Forschern seinerzeit nach Hunderten von Versuchen gelungen, mit Dolly ein Säugetier nicht durch Zeugung, sondern durch Klonen zum Leben zu erwecken.
„Jetzt wird alles machbar“, überschrieb damals der DER SPIEGEL seinen Bericht über die-sen Dammbruch in der Biotechnik. Allerdings stand auf der Titelseite des Magazins auch: „Der Sündenfall“. Zwischen diesen beiden Positionen geht die Bewertung der modernen Biotechnik bis heute hin und her. Große Hoffnungen auf der einen Seite – enorme Ängste auf der anderen. Sicher hat sich manche Befürchtung – vorerst – als unbegründet erwie-sen. Den Berichten über Dolly haftet der Makel des Betrugs ebenso an wie den Berichten über das Klonen eines Menschen. Aber das könnte dazu verführen, dies alles nicht so ernst zu nehmen. Wegen solcher blamabler Ereignisse nimmt leicht die Sensibilität ab, mit der wir fragen: Wohin soll das alles führen? Wenn wir alles können, wenn wir sogar die Grundgesetze unseres eigenen Lebens umgestalten können – wissen wir denn dann
auch, wofür das gut ist? Und was dabei herauskommt? Sicher hoffen viele Wissenschaftler, durch die Fortschritte der Biomedizin könnten irgendwann schwere Krankheiten geheilt oder der Hunger in der Welt gelindert werden. Und ich hoffe das natürlich auch.
Andererseits: Hat Bertolt Brecht vielleicht doch recht, wenn er Galileo Galilei über die modernen Wissenschaftler sagen lässt: „Wie es nun steht, ist das Höchste, was man erhoffen kann, ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können“? Wenn er befürchtet: „Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein“? Ja, er erwartet sogar: „Die Kluft zwischen euch“ – den Wissenschaftlern – und der Menschheit – „wird eines Tages so groß sein, dass euer Jubelschrei über irgendeine neue Errungenschaft von einem universalen Entsetzensschrei beantwortet werden könnte.“
Sind solche Schreckensbilder übertrieben? Niemand weiß es. Ich natürlich auch nicht. Aber – selbst wenn ich zu den Ewig-Gestrigen gezählt werde: Ich plädiere für eine Demut, die uns einsehen lässt, dass uns das Leben geschenkt ist und dass wir nicht beliebig über seine Gesetze verfügen können. Ich bin sicher, dass die demütige Ehrfurcht vor dem Leben letztlich mehr Leiden verhindert als unser Wahn, ein perfektes Leben herstellen zu können.

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