Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Manchmal ist da eine tiefe Kluft zwischen Kranken und Gesunden. Besonders, wenn jemand versucht, diese Kluft mit Floskeln zu überbrücken. So hat das der Dichter Robert Gernhardt erlebt als er todkrank war. Er hat darüber dieses Gedicht geschrieben:
„Was sagt man dem, ders nicht mehr packt?
Da sagt man doch am besten nichts.
Nicht „Halb so schlimm“, nicht „Renkt sich ein“,
nicht „Da muss jeder mal durch“,
schon gar nicht „Wird schon werden!“

Schonungslos reiht der sterbende Dichter in seinem Gedicht all die leeren Floskeln auf, die so schrecklich gut gemeint sind und die so gar nicht trösten. Besser findet er:
“Da sagt man doch am besten nichts“.
Seid doch einfach still. Schweigt. Sitzt bei mir am Bett. Fragt mich. Hört mir zu. Haltet meine Angst mit mir aus. Das hilft mir mehr als Eure gut gemeinten Floskeln.

Ich wüsste gerne, ob Robert Gernhardt dieses „Nichts sagen“ wirklich genügt hat. Ob ihm das Schweigen allein wirklich ein Trost war. Denn Schweigen kann ja auch der Ausdruck von Verzweiflung sein und von Ohnmacht und großer Hilflosigkeit.
Mir scheint: Da muss doch noch etwas dazu kommen, was das Schweigen irgendwie benennt, es erklärt.
Es ist doch ein anderes Schweigen, wenn ein Freund, eine Freundin dabei dem Kranken die Hand hält. Dann heißt das Schweigen: Du bist nicht allein. Ich bin bei dir.
Oder wenn jemand leise einen Psalm spricht am Krankenbett. Den 23. Psalm vielleicht „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück. Du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich.“
Oder ein Segen „ Gott segne dich und behüte dich. Gott gebe dir Frieden.“
Robert Gernhardt hat nichts darüber geschrieben. Es geht die Öffentlichkeit auch gar nichts an, was in solchen sehr persönlichen Momenten am Sterbebett eines Menschen gesprochen und gebetet wird.

Meine Erfahrung ist aber: Auch wenn es gut ist und gut tut gemeinsam zu schweigen.
Am Schweigen allein kann man sich so schlecht festhalten, wenn man das Gefühl hat, dass einen nichts mehr hält.
Ich finde, zu einem guten Schweigen gehören auch gute Worte.
Wenige, einfache, hilfreiche Worte. Gebetsworte. Das Vaterunser. Der Segen.
Solche Worte sind keine Floskeln.
Für mich sind sie wie ein Geländer, an dem man sich auch im gemeinsamen Schweigen festhalten kann.
Warum nicht dieses Geländer ergreifen, wenn einen nichts mehr hält?
Es hat ja schon andere vor mir gehalten. Vielleicht hält es ja auch mich.
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