Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Elisabeth, ich will“ – gut sichtbar hängt dieser Satz mit großen blauen Buchstaben auf ein Leintuch geschrieben von einer Strassenbrücke. „Elisabeth, ich will“ – das klingt nach einer öffentlichen Liebeserklärung oder gar nach einem Heiratsantrag. Da hat sich jemand für eine Frau entschieden und möchte seine Freude darüber auf diese Weise auch anderen mitteilen. So habe ich mir das ausgemalt. Von der nächsten Brücke hängt wieder ein Leintuch herunter. Und wieder steht da mit großen blauen Buchstaben: „dich nicht“. Ich füge zusammen: „Elisabeth, ich will – dich nicht“. Au Backe. Das ist wie ein Schlag ins Gesicht. Zuerst „himmelhoch jauchzend“ und dann „zu Tode betrübt“, enttäuscht, verletzt. Aus. Schluss. Vorbei. Das also wars dann mit der großen Liebe oder den Heiratsplänen. Doch die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Von der dritten Brücke hängt noch ein Leintuch und noch einmal steht mit großen blauen Buchstaben geschrieben: „verlieren. Dein Martin“. Die Botschaft auf den 3 Leintüchern von den 3 Brücken lautet also: „Elisabeth, ich will – dich nicht – verlieren. Dein Martin“. Eine so originelle wie eindringliche Bitte. Ich musste schmunzeln, habe mir aber auch so meine Gedanken gemacht: Wie oft fälle ich vorschnell ein Urteil über jemanden, den neuen Kollegen, die neue Hausbewohnerin? Wie oft ziehe ich vorschnell Schlussfolgerungen aus einer Sache, die noch nicht zu Ende diskutiert ist? Wie schnell platze ich in ein Gespräch, lasse den anderen nicht ausreden, oder ich höre ihm gar nicht richtig zu? „Elisabeth, ich will – dich nicht – verlieren.“ Die Geschichte hinter diesem Satz hat in mir etwas bewirkt. Ich habe mir vorgenommen: Ich halte mich künftig mehr zurück. Ich bemühe mich, geduldiger zu sein und warte ab, bis ich einen Menschen besser kenne, um ein Urteil zu fällen – wenn überhaupt. Ich warte ab, bis eine Sache, ein Vorhaben zu einem Abschluss gekommen ist oder ein Ergebnis vorliegt. Ich möchte besser zuhören können. Dann fällt es mir leichter, den anderen zu verstehen, in seinen Nöten und Ängsten, in seinen Fragen und Freuden. Vielleicht gibt es dann statt so manchen vorschnellen Fehlschlüssen doch ein gutes Ende.

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