Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Jetzt komm doch mal richtig näher, wenn Du Dich von mir verabschiedest. Stell Dich doch nicht so an.“ Sie hat gespürt, dass ihr Freund immer einen Sicherheitsabstand zu ihr gehalten hat. Sogar beim verabschieden. Die Arme hat er ihr schon um die Schultern gelegt. Aber das war es auch. Den Rest des Körpers hat er von ihr weggestellt wie eine Dreiecksleiter. Aus Anstand, dachte er. Sie hat das Gefühl, in Wirklichkeit verweigert er mir seine Nähe. Er will sich nicht öffnen. Nicht nur beim verabschieden. Will er für sich bleiben?
Nähe zwischen zwei Menschen ist eine Gratwanderung. Man kann leicht die Grenzen des anderen überschreiten und ihn verletzen. Mancher will sie aber auch nicht geben. Nähe zu geben kostet Kraft, mancher traut sich nicht nah zu einem anderen, weil er Angst hat, zurückgewiesen zu werden.
Aber andererseits: Wenn sich Menschen wirklich gut tun wollen, dann müssen sie sich trauen, einander näher zu kommen. Man kann nicht immer denselben Sicherheitsabstand halten wie eine Schnecke, die nie ihr Haus verlässt. Die Bibel erzählt eine erstaunliche Geschichte davon, wie heilsame Nähe wirken kann:
Eine Frau ist schon seit Jahren krank. Das Leben als Frau überfordert sie, zehrt sie aus. Sie wird immer schwächer. Von Arzt zu Arzt ist sie schon gelaufen. Keiner hat ihr geholfen, im Gegenteil. Sie finden nicht was ihr fehlt. Behandeln Symptome, aber es wird nicht besser. Fast kommt die Frau sich selbst nur noch wie eine Krankheit vor. Aber ganz hat sie sich noch nicht aufgegeben. Sie hört von einem neuen Arzt. Das macht ihr Hoffnung und sie sucht seine Nähe, als er in ihre Stadt kommt. Sie berührt ihn, eigentlich ein Unding, und er verweigert sich nicht. Im Gegenteil, er redet mit der stigmatisierten Frau wie mit einem Menschen. Und sie wird tatsächlich gesund. Die Bibel meint, dass die berührende Nähe zwischen der Frau und Jesus heilsam gewirkt hat, zumindest mitgewirkt.
Nähe zwischen Menschen ist eine Gratwanderung. Aber wenn man sich füreinander öffnet und einander nahe kommen lässt, dann kann sie sehr wohl tun. Sie kann sogar heilsam sein für Menschen, wie die biblische Geschichte zeigt. Ich finde, wir sollten uns die Frage stellen: Wo bin ich auf Sicherheitsabstand, immer schon oder im Lauf der Zeit gegangen? Wo wäre es gut, ihn kleiner zu machen? Gut für Sie und mich und die anderen, mit denen wir leben?
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7794
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