Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es ist ein Wort mit dem schon ziemlich viel Schindluder getrieben wurde: Hingabe. Wenn zum Beispiel Menschen zur Selbstlosigkeit gezwungen werden oder dazu gedrängt fraglos- klaglos Opfer zu bringen. Oder wenn mit dem Wort Hingabe Unterwerfung schön geredet werden soll. Sexuell oder ideell. Es ist aber doch ein so schönes Wort, ja ein bezaubernder Zustand, wenn jemand was mit Hingabe macht.
Ein Kind hab’ ich vor Augen, das etwas malt. Die Zunge zwischen die Lippen geklemmt, ganz selbstvergessen, voll konzentriert. Oder ich habe Menschen mit Hingabe beten sehen. Muslime in ihrer ehrfürchtigen Sammlung, knieend auf dem Teppich. Buddhisten in aufrechter Körperhaltung mit Gesichtern, die so weggetreten wie schön ausgesehen haben. Oder ein katholischer Priester, der Gottesdienst wirklich gefeiert hat. Konzentriert, durchlässig für Gott und die Menschen. Und ich habe Menschen mit Hingabe anderen helfen sehen. Entwicklungshelfer, deren Hingabe sich in Zorn und Zärtlichkeit ausgedrückt hat. In Zorn gegenüber den Zuständen und in zarter Liebe gegenüber den Unterdrückten und Geplagten. Pflegerinnen habe ich erlebt, die sich ganz und gar auf den alten oder kranken Menschen vor ihnen eingelassen haben, sich Zeit genommen haben. Und damit sich selbst und die Zeit vergessen haben. Ich weiß, das ist die Ausnahme und schwierig zu Zeiten, in denen überall Kostendruck und Personalmangel herrscht. Aber wenn es passiert, dann sind es kostbare, heilige Momente. Denn Hingabe kann und darf nur freiwillig sein. Kosten-Nutzen-Denken ist das glatte Gegenteil davon. Wer also das Glück oder die Möglichkeit hat sich immer wieder voll und ganz hinzugeben: einer Aufgabe, einem Werk oder einem Menschen, der erlebt einen ganz wunderbaren Widerspruch: dass er ganz bei sich ist, wenn er sich verliert.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7648
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