Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Meinst du, dass das Beste in deinem Leben noch vor dir liegt?“ – wenn ich meine Schüler so frage, antworten sie immer mit Ja. Klar, sie sind 17, 18, 19 Jahre alt, und sind sich sicher, dass das Interessanteste noch kommt.
Ich würde diese Frage spontan auch mit Ja beantworten, aber wenn ich genauer drüber nachdenke kommen mir Zweifel. Ich werde bald 39 Jahre alt. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung liegt etwa die Hälfte meines Lebens hinter mir. Warum sollte ich mir also sicher sein, dass das Interessanteste nicht schon hinter mir liegt? Die letzten 39 Jahre sind ziemlich schnell vorbeigegangen. Eigentlich total kurz so ein Leben, finde ich, und der Gedanke, dass ab jetzt weniger Zeit vor mir liegt als hinter mir, beunruhigt mich enorm.
Das geht anscheinend nicht nur mir so. In seinem Roman „Selina“ erzählt der Österreichische Schriftsteller Walter Kappacher von einem Mann namens Stefan, genau gleich alt wie ich. Stefan verbringt ein Jahr in der Toskana, allein in einem abgelegenen Haus. Eines Nachts schaut er in den Sternenhimmel. Und plötzlich packt ihn das blanke Entsetzen. Angesichts der Unendlichkeit und der Weite des Universums erschreckt er plötzlich über die winzigen Zeitspanne seines Lebens (S. 226). Ihm wird schlagartig klar, „dass das Ende unserer Existenz unausweichlich ist, dass sie nicht mehr lange dauert (wie schnell sind die letzten zehn Jahre vergangen!)“, hält er sich vor Augen (S. 229). Und er fühlt sich, als ob er ins Nichts fällt.
Stefan schätzt sich selbst nicht besonders religiös ein. Aber völlig gefangen von seinem Schreck geht er ins Haus. Er zündet eine Kerze an und betet das Vaterunser. Dabei macht er eine überraschende Erfahrung: „Das hat tatsächlich geholfen, der Schreck, der mich lähmte und gleichzeitig zittrig machte, löste sich nach und nach“, sagt er im Rückblick (S. 249).
Wenn mich die kurze Zeit meines Lebens beunruhigt, dann hilft mir das Reden mit Gott auch. Beim Beten wird mir klar: Mein Leben ist ziemlich klein. Aber der Schöpfer des Universums hat gewollt, dass es mich gibt. In der Bibel steht, dass jeder einzelne Mensch von ihm geschaffen wurde und ihm wichtig ist (Psalm 8). Und Gott passt auch auf, dass ich nicht verloren gehe. Mein kleines Leben ist in seiner Hand aufgehoben. Er lässt nicht zu, dass es sich im Nichts auflöst. Gott hält ein neues ewiges Leben für mich bereit.
So gesehen kann ich die Frage „Meinst du, dass das Beste noch vor dir liegt?“ eigentlich doch immer noch mit Ja beantworten.


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