Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Kinder und Narren sagen die Wahrheit!“ Als erwachsene, vernünftige Menschen haben wir gelernt uns anzupassen, diplomatisch zu sein, vor allem unangenehme Wahrheiten in Watte zu verpacken oder durch die Blume zu sagen. Wir wollen ja niemand verletzen. Bei Kindern ist man nachsichtig, die sind naiv, die kennen noch nicht die Konventionen der Erwachsenen. Kinder und Narren sprechen es aus, benennen und beschreiben, was sie sehen und wahrnehmen, ohne Angst und Scheu.
Die Meinung ist weit verbreitet, dass Wahrheit verletzen kann. “Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd!“ Wer offen, ehrlich und direkt ist, den Mut hat, auszusprechen, was er sieht und empfindet, der lebt gefährlich, der muss sich gegebenenfalls schnell aus dem Staub machen können. Es gibt aber auch eine Alternative:
Der irische Schriftsteller und Dramatiker George Bernhard Shaw (1856 - 1950) soll gesagt haben: „Man kann den Menschen die Wahrheit nicht sagen, es sei denn, man bringt sie dabei zum Lachen!“ In Humor verpackt ertragen wir offensichtlich die Wahrheit. Ob das Lachen dann verlegen ist oder befreit, ob es beschämt oder erlöst, es gibt der Wahrheit eine Leichtigkeit, nimmt ihr die Schwere und den manchmal bitteren Ernst. Ich kenne das Bedürfnis, nicht nur über andere, sondern auch über mich selbst zu lachen, mich selbst auf den Arm zu nehmen. Das gilt für gute Satire, Comedy oder Kabarett.
Früher gab es Hofnarren. Menschen, die von Berufs wegen den Mächtigen den Spiegel vorgehalten haben. Im religiösen Kontext waren es die Propheten. Unerschrockene, intelligente und vorausschauende Menschen, welche den Mut hatten, den Mächtigen die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Das ist eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Heute sind es zum Beispiel gute Berater, die die Hofnarren oder Prophetenfunktion haben können. Sie sollten unabhängig sein vom Geld und der Gunst derer, die sie beraten, frei und kritisch. Sie sollten der Sache verpflichtet sein und nicht ihrer Karriere. Gute Berater sind mutig, wahrhaftig, frech wie Hofnarren und trotz Kritik bauen sie auf und haben bisweilen Visionen. Nur so können sie ein ehrliches Feedback geben, wie das im beruflichen Jargon heißt.
Und um noch mal George Bernhard Shaw zu zitieren: „Was wir brauchen,“ sagte er, „sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.“

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