SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Von dem Dichter Reiner Kunze gibt es ein Neujahrsgedicht. Es lautet:
Drei Wünsche für das Neue Jahr
Durchsichtige Zäune
Hartnäckige Fragen (im Nacken ein wenig Flaum)
Brücken, die bei Vormarsch brechen
Mir gefällt besonders der zweite Wunsch: „Hartnäckige Fragen” wünscht Reiner Kunze für das Neue Jahr. Ein schöner Wunsch! Mir wären ein paar gute Antworten lieber als die vielen ungelösten Fragen.
Wäre da nicht dieser Zusatz: Hartnäckige Fragen – „im Nacken ein wenig Flaum“, steht da noch. Flaum in Nacken haben junge Lebewesen, Vögel und vor allem auch kleine Kinder. Hartnäckige Fragen mit Flaum - vielleicht meint der Dichter die grundsätzlichen Fragen wie Kinder sie stellen. Friert die Oma nicht, wenn sie auf dem Friedhof liegt und es schneit? Was tut der Mond, wenn er nicht scheint? Kriegt ein Hund Flügel, wenn er in den Himmel kommt? Warum sind mache Menschen so böse? Frag nicht so dumm! Die Oma spürt doch nichts mehr. Der Mond scheint eben nur nachts. Der Hund ist doch nur ein Tier. Und warum manche Menschen so böse sind, weiß ich auch nicht. Frag nicht so dumm.
Kinder fragen nie dumm. Sie fragen respektlos, neugierig, also begierig, Neues zu sehen und zu erfahren. Bei ihnen ist leben fragen. Das tun sie mit einem untrüglichen Gespür für Lüge und Wahrheit. So treffen sie oft den Punkt, wo Erwachsene sich irgendwie zufriedengegeben haben. Tot ist tot. Wenn der Mond nicht da ist, ist er halt weg. Wenn Menschen böse sind - ich kann´s auch nicht ändern.
Hartnäckige Fragen wünscht der Dichter für das Neue Jahr. Fragen mit einem harten Nacken, unbeugsam, unnachgiebig. Als in der DDR lebender Schriftsteller, der schließlich zum Dissidenten wurde, hat Reiner Kunze dabei sicher nicht zuletzt an politische Fragen gedacht. Auch da: Sich nicht beschwichtigen lassen, sich nicht zu rasch zufriedengeben.
Ich finde das einen guten Wunsch, einen guten Vorsatz für das neue Jahr:

https://www.kirche-im-swr.de/?m=7424
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