Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Morgen ist Nikolaustag. Heute am Vorabend stellen vor allem die Kinder traditionell ihren Teller oder ihre Schuhe auf, um sie am nächsten Morgen mit Süßigkeiten gefüllt vorzufinden. Nicht selten erhalten sie auch Besuch, denn den Nikolaus kann man bestellen – zahlreiche Agenturen und Institutionen bieten das an.
Als mein Bruder und ich klein waren, war es ein Freund unserer Eltern, der als Nikolaus verkleidet zu uns ins Haus kam – einmal sogar begleitet von einem schwarz angemalten und bekleideten Mann. Man hatte uns schon Tage zuvor gewarnt: Wenn ihr nicht lieb seid, bringt der Nikolaus seinen Knecht Ruprecht mit. Und der steckt euch im schlimmsten Fall in seinen Sack. Oder er gibt euch die Rute. So war der Nikolausabend für uns kein Grund zur Freude; wir erwarteten ihn vielmehr mit einem flauen Gefühl im Magen. Und es war am Ende auch nicht der Nikolaus, der unsere Beachtung fand, sondern Knecht Ruprecht, wie er sich bei uns im Wohnzimmer neben dem heiligen Mann brummend und mit einer Kette rasselnd auf dem Boden niederließ. Dabei kamen wir noch glimpflich weg und erhielten als Geschenk eine Rute mit vielen Schokoladenanhängern. Nicht so glimpflich erging es jedoch unserem Vater. Der Nikolaus hielt ihm vor, er habe sich in den kalten Wintertagen zu wenig warm angezogen, deshalb sei er jetzt stark erkältet. Und weil er so leichtfertig mit seiner Gesundheit spiele, müsse er ihn mitnehmen. Für Knecht Ruprecht war das das Signal. Laut brummend stand er auf und fesselte unseren Vater mit seiner Kette, während wir Kinder den Nikolaus anflehten, uns unseren Vater zu lassen, wir würden ihm dafür gern unsere Schokoladen behängten Ruten zurückgeben.
Für mich ist das ein besonders negatives Beispiel des Nikolausbrauches, und ich bin sicher, dass sich das in dieser Form wohl kaum noch mal abgespielt hat. Unsere Eltern jedenfalls haben uns später einmal erklärt, wie sehr sie das bedauert hätten. Denn an den wahren Bischof Nikolaus erinnert ein solches Spiel nicht. Allerdings: Vieles, was heute anlässlich des Nikolaustages zur Aufführung gebracht wird, hat ebenso wenig mit dem Namensträger zu tun. Lediglich das Verteilen von Geschenken knüpft an eine der zahlreichen Legenden an, die es über den Heiligen gibt. Und diese spiegeln ihn als gütigen Menschen, der sich tatkräftig und mutig für Arme und Schwache einsetzt.
Überall, wo in dieser Weise Liebe geübt und Gerechtigkeit eingefordert wird, ist Jesus mit seiner Botschaft lebendig. Ein Nikolausspiel, das das zur Sprache bringt, wird dem einstigen Bischof von Myra gerecht: wenn Kinder und Erwachsene mit dem Nikolausdarsteller gemeinsam überlegen, wo sie schon solche Beispiele der Liebe gesehen haben. Und das kann dann auch Mut machen entsprechend zu handeln.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7213
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