Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Die Rede vom allmächtigen Gott hat eine lange Tradition und war über lange Zeit selbstverständlich. Wenngleich sich angesichts unbeschreiblichen Leids auf der Welt auch diese Fragen hartnäckig halten: Wie kann ein allmächtiger Gott das zulassen? Warum greift er nicht ein, wenn manchen Menschen so unsäglich viel Leid aufgebürdet wird, dass sie daran zerbrechen? Hört er nicht den Schrei unschuldig leidender Kinder? – Nicht wenige haben angesichts so viel ungerechten Leidens bereits jedes Reden von Gott eingestellt. Wenn ich mir vorstelle, Gott ist allmächtig, dann verbinde ich damit den Gedanken: Gott kann alles machen, alles möglich machen oder alles verhindern – wenn er nur will. Diese Vorstellung hat bereits der griechische Philosoph Epikur (300 v.Ch.) in Frage gestellt: Will Gott das Übel abschaffen, kann es aber nicht – dann ist er ohnmächtig und nicht Gott. Kann er es, will aber nicht – dann ist er böse und auch nicht Gott. Viele mag das überraschen, aber die Bibel kennt den Ausdruck „der allmächtige Gott“ – nicht. * Diese Vorstellung stammt nicht aus der Gedanken- und Sprachwelt der Bibel, sondern aus der Welt des heidnischen Umfelds. Für die Menschen in Israel, auch für Jesus, schien „allmächtig“ kein Wort zu sein, das ihr Verhältnis, ihre Beziehung zu Gott benennen könnte. An Gottes Macht gab es für die Israeliten nicht den geringsten Zweifel. Aber was war das für eine Macht? Im griechischen Urtext der Bibel ist die Rede vom „pantokrator“, das heißt übersetzt: „Allerhalter“. Gottes Macht im Sinne der Bibel besteht in seiner Zuneigung und Treue, in seiner Freundschaft und Liebe, die durch keine andere Macht besiegt oder zerstört werden kann. Seine Macht ist seine Liebe, von der uns nichts und niemand trennen kann, was auch immer passiert. (Römer 8,31-39) Die göttliche Macht, die trägt, bewahrt und erhält. Gott lässt sich durch den Propheten Jesaja charakterisieren: „Hört auf mich . . . Ich bleibe derselbe . . . bis ihr grau werdet, will ich euch tragen. Ich habe es getan, und ich werde euch weiterhin tragen, ich werde euch schleppen und retten.“ (46,3-4) Eine unendliche göttliche Liebe mit einer wunderschönen Vision. Ihr möchte ich trauen und vertrauen. Hoffentlich auch dann, wenn es schwer wird. * Darauf macht der Tübinger Theologe und Bibelwissenschaftler Meinrad Limbeck seit 25 Jahren in verschiedenen Publikationen aufmersam.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=711
weiterlesen...