Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Protest ist peinlich“. Diese Erfahrung machte Anja Mauersberger, als sie sich entschloss, zum Streik aufzurufen. Sie gehört zu den jungen Leuten, die zwar einen guten Ausbildungsabschluss in der Tasche haben, aber keinen Arbeitsplatz finden. Bloß Praktikantenstellen gibt es genug für sie. Oft für geringen Lohn oder ganz ohne Geld. „Generation Praktikum“ hat man ihre Altersgruppe deshalb auch schon genannt. „Das ist doch nicht nur mein Problem“, denkt sie, „dass ich immer nur befristete Praktikumsplätze finde. Das geht doch vielen so“.
Also bastelte sich Anja Mauersberger ein Pappschild mit der Aufschrift: “Prakti- Streik 2009“.Damit radelte sie wochenlang durch Berlin. Interessanter Weise fand ihre Protestaktion überhaupt kein Interesse bei den über 20 jährigen, also bei denjenigen, die es am ehesten betraf. Ihnen war die Protestaktion eher peinlich. „ Ich gehöre zu...einer Generation von Einzelkämpfern.“ sagt Anja. Unser gemeinsames Lebensgefühl, das heißt: Die Hölle, das sind nicht die Vorgesetzten, die nichts zahlen, aber viel verlangen, sondern die Konkurrenten, die einem den eigenen Platz streitig machen.“
Protest ist peinlich. Probleme mit dem Praktikum hat man vielleicht, aber man gibt sie nicht zu. Es könnte einen ja den möglichen Job kosten. Sich bloß nicht öffentlich beklagen. Jeder sorgt für sich selbst. Das reicht. So denken anscheinend viele junge Leute.
Ich sehe das ganz anders. Zu protestieren, also laut zu sagen, was man nicht in Ordnung findet, das gehört für mich zu den Werten unserer Demokratie. Es ist ein christlicher Wert. Wir Evangelischen haben ihn sogar im Namen. Wir nennen uns Protestanten. Weil schon vor 500 Jahren Menschen protestiert haben gegen Dinge, die einfach so nicht bleiben konnten. Seither hat sich in unseren Kirchen viel verändert – und zwar in allen.
Wer protestiert, gibt sich nicht zufrieden, mit dem, was ist. Der will etwas ändern – für sich, aber auch für andere. Ich weiß: Protest allein ändert noch nichts. Protestieren schafft auch noch keine bezahlten Arbeitsplätze. Aber Protest ist ein erster Schritt zur Veränderung. Doch alleine kommt man damit nicht weit. Man braucht Unterstützung. Ich finde darum, wir Mütter und Väter der Generation Praktikum, wir sind hier besonders gefragt. Die jungen Leute können sich selbst keine Arbeitsplätze schaffen. Sie brauchen Unterstützung – durch Betriebsräte, leitende Angestellte und durch mutige Arbeitgeber, die es wagen, einen jungen Menschen einzustellen, wenn sie Arbeit für ihn haben. Dann ist Protest auch nicht mehr peinlich, sondern eine starke Kraft zur Veränderung.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7106
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