Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Wer sich auf andere verlässt, der ist verlassen“ lautet ein Sprichwort. Und unausgesprochen gibt es den Ratschlag: „Wer sich nur auf sich selber verlässt, der geht auf Nummer sicher“.
Hört sich vernünftig an, ist es aber nicht. Ganz einfach deshalb, weil kein Mensch leben kann, ohne sich auf andere Menschen zu verlassen. Wenn ich morgens in mein Auto steige, verlasse ich mich darauf, dass der Mechaniker beim letzten Kundendienst alle Schrauben angezogen hat. Wenn ich das Schulgebäude betrete, verlasse ich mich darauf, dass der Statiker sich nicht verrechnet hat. Und wenn ich mir mittags beim Bäcker eine Brezel kaufe, verlasse ich mich darauf, dass mich der gute Mann nicht vergiften will. Ich verlasse mich ständig.

Eigentlich ein komisches Wort „sich verlassen“. „Ich verlasse mich“ heißt ja, wenn ich den Ausdruck ganz wörtlich nehme: Ich geh von mir weg. - Und „ich verlasse mich auf jemanden“ heißt dann doch: Ich gehe weg, verabschiede mich von mir selbst, von dem was ich kann, leiste und denke, und baue stattdessen ganz auf das, was ein anderer tut und kann.

Sich auf andere verlassen zu können, nicht nur auf den Bäcker oder den Mechaniker, sondern vor allem auf meine Freunde und auf meine Familie, das tut gut. Wenn ich weiß: ich muss nicht alles alleine packen, sondern da gibt es Menschen, die es gut mit mir meinen und da sind, wenn ich sie brauche, dann entlastet mich das. Ich muss nicht immer bei mir sein, immer auf der Hut, immer für alles zuständig. Ich darf mich auch mal verlassen, weil andere da sind, auf die ich mich verlassen kann.

Wer sich verlässt, wagt auch etwas. Denn wenn ich an jemanden gerate, auf den kein Verlass ist, dann kann ich furchtbar enttäuscht werden. Zu Beginn des Schuljahres sollten meine Schüler im Reli-Unterricht einen kleinen Fragebogen ausfüllen, auf dem ich sie unter anderem gefragt habe, was sie nicht mögen. Auffällig viele haben geschrieben „falsche Freunde“.

Nach meiner Erfahrung ist Gott einer, auf den ich mich verlassen kann. Er verspricht sogar verlässlich da zu sein, wenn selbst Menschen, die mir sehr nahe stehen, nicht mehr da sind. „Mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber Gott nimmt mich auf“ (Psalm 27,10), heißt es in einem Psalm der Bibel. Ich denke, an Gott glauben heißt im Grunde nichts anderes als sich auf ihn zu verlassen. Glauben heißt: Ich muss nicht krampfhaft alles selbst in der Hand behalten. Ich kann mich selbst loslassen, weil Gott mich hält.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=6925
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