SWR4 Abendgedanken RP

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Mein Sohn ist als Jugendlicher losgefahren und ist als Erwachsener wieder zurückgekommen.

Das sagte der Vater eines Schülers, der mit einer Gruppe das Konzentrationslager von Auschwitz besucht hat.

Teil 1
Wir waren zuerst in Ausschwitz im Stammlager. Und das Eingangstor in Ausschwitz ist dieses Tor mit der Überschrift „Arbeit macht frei“. Und das war schon ein sehr bedrückendes Gefühl. Es ist so unvorstellbar, wie das auf einen wirkt.

Alexander Ubl erinnert sich noch gut an seine Gefühle, als er vor einem Jahr Auschwitz besucht hat. Paula Minnameier ist in diesem Jahr das erste Mal dabei. Sie fürchtet sich ein wenig vor dem, was sie da erwartet.

Also ich erwarte, dass ich Erfahrungen sammeln kann und zwar nicht nur aus Texten oder aus Bildern, sondern dass ich es miterleben kann, dass ich selber die Wege gehen kann, die damals von den Häftlingen gegangen worden sind.

Und wie bedrückend das sein kann, weiß Pfarrer Marcus Harke, neuer Superintendent des Kirchenkreises an Nahe und Glan sehr genau. Er hat die Jugendlichen im vergangenen Jahr bei dieser Begegnung begleitet. Über eines hat er sich dabei gefreut, nämlich dass sich.

…Jugendliche sich überhaupt dafür interessieren, das fand ich sehr spannend und zeigt auch, dass wir die Geschichte nicht verdrängen können oder liegen lassen können.

Dabei beginnt die Geschichte der Juden, die Bibel nennt sie- das Volk Gottes- mit einer Verheißung. Gott verspricht ihnen:

„Ich will euch als mein Volk annehmen und will euer Gott sein. Dann werdet ihr erkennen, dass ich der HERR bin, euer Gott, der euch aus dem Frondienst für die Ägypter befreit.

So verkündet es Gott vor langer Zeit dem Moses. Damals hat sich das Volk Israel aufgemacht aus der Knechtschaft in Ägypten. Der Weg zum gelobten Land war lange, endlos lange. Und führte durch eine Wüste. Und so verheißungsvoll der Weg begann, bis heute ist der Weg mit viel Leid verbunden. Damals und durch alle Zeiten hindurch bis heute.
Im Dritten Reich endete der Weg vieler Juden unbeschreiblich grausam. Stätten wie das ehemalige Konzentrationslager Ausschwitz sind heute deren stumme Zeugen.
Deshalb wird heute wieder eine Gruppe aus Bad Kreuznach in Auschwitz sein. Superintendent Markus Harke wünscht den Jugendlichen, die heute durch die Tore des Stammlagers Auschwitz gehen werden,

… dass sie die Albträume danach doch relativ gut verarbeiten können, denn ich glaube das war bei unserer Gruppe durchgängig, dass jeder also 14 Tage, drei Wochen nach dieser Fahrt immens mit diesem Erleben gekämpft hat und verarbeiten musste.

Damit das möglich sein wird, werden alle auf diese Reise gut vorbereitet. Andreas Duhrmann, Diakon und Leiter des Ökumenischen Kinder- und Jugendhauses in Winzenheim, hat sich darum gekümmert.

Teil 2
Am heutigen Abend, während ich zu Ihnen spreche, wird eine Gruppe aus Bad Kreuznach und Umgebung das ehemalige Konzentrationslager in Ausschwitz besuchen. Sie stellen sich einem Kapitel der Menschheitsgeschichte und besonders der deutschen Geschichte. Das ist gerade bei jungen Menschen nicht selbstverständlich. Deshalb hat sich Diakon Andreas Duhrmann dafür engagiert, dass die Jugendlichen diese Fahrt unternehmen konnten.

Ich denke, es ist wichtig, dass junge Menschen heute nicht vergessen, was heute vor 65 Jahren passiert ist. Wenn man heute sich die ältere Generation vorstellt, die erzählen sehr ungern, was damals im 2. Weltkrieg passiert ist. Und die jungen Menschen erzählen auch, dass in der Schule sehr sehr wenig über diese Zeit im Geschichtsunterricht behandelt wird. Und so haben wir gesagt, wir müssen da mal hin und gucken, was ist damals passiert und vor allen Dingen, warum ist das damals passiert.

Auch für ihn war dieses Projekt im vergangenen Jahr erst einmal Neuland. Und so waren auch seine Gefühle sehr gemischt, gerade auch die, als Deutscher dorthin zu fahren. Aber die beglückendste Erfahrung die er in Auschwitz gemacht hat, waren die Menschen auf die er dort traf.

Also ich bin mit sehr beklemmten Gefühlen das erste Mal letztes Jahr nach Polen gefahren und wusste überhaupt nicht, was mich da erwartet. Und ja umso erstaunter war ich über diese Gastfreundschaft, die mir dort begegnet ist. Das machte die ganze Begegnung etwas leichter, denn ein beklemmendes Gefühl war da, gar keine Frage, vor allen Dingen als wir auf dem Rückweg waren und mussten alles verarbeiten, was wir die letzten Tage dort erlebt hatten.

Und dabei lässt Andreas Duhrmann die Jugendlichen nicht allein. Fünf Vortreffen hat er für diese Reise organisiert. Zeitzeugen wurden eingeladen und befragt. Ein Jugendbeauftragter der Polizei dokumentierte eindrücklich, wie nah die Gewalt von rechts bei uns in Deutschland noch immer ist. Aber all die Arbeit und Mühe hat sich für ihn gelohnt, wenn alle …

… mit dem Gefühl nach Hause kommen, so etwas darf niemals mehr passieren und dass sie die Kraft und den Mut haben, dass sie dafür eintreten, dass so etwas nie wieder passieren wird.

Durch die Vorbereitung und die vielen Gespräche von Jugendlichen auch mit älteren Menschen bekam diese zweite Fahrt der Kreuznacher einen anderen Charakter. Auch die Eltern- und Großelterngeneration wollte sich dem Vergangenen noch einmal neu zu stellen. Und so machte sich eine Reisegruppe auf den Weg nach Auschwitz, deren Teilnehmer zwischen 16 und 72 Jahre alt waren.

Teil 3
Eigentlich wollte er eine Fahrt in das ehemalige Konzentrationslager nach Auschwitz noch einmal mit Jugendlichen wiederholen, Andreas Duhrmann, Leiter des Ökumenischen Kinder- und Jugendhauses in Winzenheim bei Bad Kreuznach. Dazu hat er ein schönes Programmheftchen gestaltet und ausgelegt: junge Mitreisende gesucht. Aber dieses Programmheft bekam auch die 71 jährige Safina Viron in die Hände. Sie ist Jüdin und lebt seit vielen Jahren in Bad Kreuznach. Safina Viron entdeckte in dem Programmheft zwei Bilder mit Häftlingen von Ausschwitz. Und erkannte in ihnen Menschen aus ihrem Dorf in Transkarpatien.

Wenn ich erste Mal geguckt diese Programme, es heißt „Zukunft ohne rechts – mach mit“, dann ich habe gesehen zwei Bilder. Ohne Unterschrift, ohne nix. Aber ich weiß, dass diese Bilder von meine Gemeinde, wo ich mehr als vierzig Jahre gewohnt habe, und diese Bilder von meine Gemeinde, das ist sehr schwer, aber ich war glücklich, dass ich habe diese Bilder gesehen.

An die Namen der Frauen und Männer auf dem Foto kann sie sich nicht mehr erinnern. Auch unter dem Foto standen sie nicht. Aber niemand darf ohne Namen sterben, sagt sie. Deshalb muss sie die Namen dieser Häftlinge herausfinden. Erst dann kann sie ein Kapitel ihrer eigenen Lebensgeschichte besser abschließen. Safina Viron freut sich deshalb, diese für sie schwere Reise zusammen mit Jugendlichen machen zu können. Von den Vorbereitungstreffen, an denen sie teilgenommen hat, ist sie schon jetzt fasziniert.

Ich meine, dass diese Junge ich habe gesehen, sie sehr interessieren sich über diese Geschichte, das ist wunderbar, nicht nur tanzen, nicht nur junge Sache mache. Aber diese schwierige Geschichte, das ist wunderbar. Ich fühle mich sehr gut mit diese Jungen.

Wenn sie nach dieser Reise wieder in Bad Kreuznach ist, möchte sie öffentlich über ihre Erfahrungen in der Bad Kreuznacher Synagoge reden und andere dazu einladen. Denn sie weiß jetzt schon – wie auch die anderen Teilnehmer dieser Fahrt, dass sie verändert wiederkommen wird.
Als im vergangenen Jahr die jugendlichen Teilnehmer der Reise zurückkamen, haben sie sich alle verändert, weiß Diakon Andreas Duhrmann. Eine Erfahrung hat ihn dabei besonders berührt.

Ein Vater hat gesagt nach der Fahrt im letzten Jahr: Mein Sohn ist als Jugendlicher dorthin gefahren und als Erwachsener wieder zurückgekommen. Und ich denke, einen stärkeren Satz gibt’s gar nicht. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6911
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