Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Über dreitausend Frauen und Männer bewerben sich am kommenden Sonntag um ein Mandat im Bundestag. Ganze sechshundert werden die glücklichen Gewinner sein und am Wahlabend strahlend in die Kameras lächeln. Die andern aber, die Verlierer machen lange Gesichter. Politik ist knüppelhart...
Ich bewunderte den Mut und die Entschlossenheit dieser Leute. Nicht allen, aber sehr vielen von ihnen traue ich zu, dass edle Motive sie zur Kandidatur bewegen. Sie wollen anpacken, Verantwortung übernehmen, Politik gestalten. Das verdient Respekt und Anerkennung. Denn was sie sich da einhandeln, ist nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig! Da kommt mir ein Pauluswort in den Sinn, aus dem es einmal so richtig herausbrach: „Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum...“ (2. Brief an die Korinther 4, 8). Er hatte sich in der Christengemeinde in Korinth weit hinausgewagt und wird nun in den Konflikten unterschiedlicher Interessengruppen fast zerrieben.
Von allen Seiten werden sie in die Enge getrieben, die Abgeordneten unserer Parlamente. In ihren Wahlkreisen nimmt man sie hart zur Brust, und das ist auch gut so. Dafür haben wir sie gewählt, dass sie unsere Anliegen politisch vertreten. Leichter gesagt als getan, müsste man sich nicht in den Fraktionen deren Zuchtmeistern beugen und Fraktionsdisziplin wahren – manchmal gegen das eigene Gewissen. Lobbyisten suchen Abgeordnete zu umgarnen, locken mit saftigen Angeboten und schwören sie ein, Politik für ihre Sache zu machen. Und wahre Schlammschlachten liefern sich die Damen und Herren in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner – nicht immer zu unserem Entzücken! Lange, harte Arbeitstage, kurze und vielleicht auch manchmal schlaflose Nächte. Das alles trauen die sich zu. Zu Hause aber vermissen Frauen und Männer ihre Ehepartner und die Kinder ihren Vater oder ihre Mutter. Viele – zu viele, die im politischen Geschäft schon verbrannt sind.
Jenen, denen ich am Sonntag meine Stimme gebe, werde ich ein Gebet hinterherjagen, den Verlierern nicht weniger! Ich bitte Gott darum, dass unsere Abgeordneten auch jene andere Erfahrung des Apostels Paulus machen dürfen, nämlich nicht nur von allen Seiten bedrängt zu werden, sondern dennoch „Raum zu finden“. Raum für Familie und Beziehung, für Freundschaft und Kultur, für Muße und Besinnung. Vor allem aber, dass ein starker Glaube sie trägt und aushalten lässt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=6775
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