Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Nun sind ihre Tage endgültig gezählt: Die gute alte Glühbirne verschwindet aus den Regalen. Sie hat sich selbst disqualifiziert, denn sie verwandelt die eingesetzte Energie mehr in Wärme als in Licht.
Eine stattliche Trauergemeinde gibt ihr nun das letzte Geleit und beklagt sich bitter über das harte, kalte Licht ihrer Nachkommen, die Sparlampen und Leuchtstoffröhren. Werden nun unsere Wohnstuben zu eiskalten Labors?
Tatsächlich hängt in unserem Leben viel davon ab, in welchem Licht wir die Dinge betrachten. Schamlos halten seichte Talk-Shows und schlüpfrige Magazine nackte Tatsachen ins gleißende Licht, leuchten hinein in die finstersten Ecken menschlichen Leids oder in die Abgründe von Schuld und Versagen. Solche Spots bringen Quote. Dass Betroffene daran zerbrechen, wird als Kolateralschaden in Kauf genommen.
Wir sind es heute gewohnt, gnadenlos zu analysieren und zu recherchieren. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit muss auf den Tisch! Doch diese viel gepriesene nackte Wahrheit ist nur die halbe Wahrheit. Sie bedenkt nämlich nicht, was sie bei ihrem Empfänger anrichtet. Ein guter Arzt wird eine lebensbedrohliche Diagnose zwar klar und deutlich rüber bringen, sie aber doch einhüllen in Worte der Ermutigung und des Trostes.
Wir brauchen im Umgang miteinander das wärmende „Infrarot“ von Gefühl und Verständnis. So sehr es in unseren Beziehungen darauf ankommt, Störungen beim Namen zu nennen, damit ja nichts anbrennt, so sehr bedarf es doch auch der Einfühlung und des Verständnisses für die Schwächen und das Versagen des andern.
Gestern habe ich wieder einmal einem Täufling die Taufkerze überreicht – Symbol des auferstandenen Christus. Licht der Klarheit und Wahrheit, aber auch der Wärme und Geborgenheit. Interessant, dass die brennende Kerze trotz Kunstlicht aus unseren Ritualen nicht weg zu denken ist. Die kleine, zitternde und wärmende Flamme teilt unsere Freude und tröstet uns in Trauer und Leid, denn Licht und Wärme gehören zusammen.
Ade, du gute, alte Glühbirne. Wir werden nun für dein mildes „Infrarot“ selber sorgen müssen. Möge es uns gelingen, das Elend dieses Lebens, seine Mißstände ebenso wie persönliche Schuld in ein gnädiges Licht zu rücken und sie einzuhüllen in das wärmende „Infrarot“ der Liebe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=6773
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