Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Für fromme Gemüter war das immer schon starker Tobak: Wutentbrannt stürmte Jesus damals auf den Jerusalemer Tempelplatz, warf die Tische der Geldwechsler und Viehhändler über den Haufen und drohte denen sogar mit der Peitsche. „Macht das Haus meines Vaters nicht zur Markthalle und zu einer Räuberhöhle“, so seine Botschaft. Nun muss man wissen: Auf dem Tempelplatz hatten sich zur Zeit Jesu blühende Wirtschaftsunternehmen etabliert: Die Zentralbank mit eigener Währung, Prägeanstalt und Wechselstuben, außerdem Handelshäuser und Dienstleistungsbetriebe für die werte Kundschaft, die Pilger aus aller Herren Länder. Dieser Angriff bedeutete eine schonungslose Attacke gegen das selbstherrliche und profitorientierte System samt seiner mächtigen Tempelkaste.
Wäre Jesus heute unter uns – ich fürchte, er würde an der Wall Street den Stecker ziehen. Er müsste wieder ausrasten angesichts der Umtriebe an den Kapitalmärkten. Mit staatlicher Stütze hochgepäppelt und von ihren Schrottpapieren befreit, fahren die großen Geschäftsbanken schon wieder milliardenschwere Gewinne in ihre Scheunen. Angereizt durch entsprechende Boni und gleichzeitig von brutalen Zielvorgaben bedroht, müssen die Angestellten ihre Kunden in zweifelhafte Geldanlagen drängen. Tun sie es nicht, riskieren sie ihren Job. Der Realwirtschaft aber werden notwendige Kredite vorenthalten oder nur zu überteuerten Zinsen angeboten. Manchmal noch unter der Bedingung, erst mal kräftig Personal abzubauen. Ein schwerer Eingriff in die unternehmerische Freiheit.
Beide Kirchen haben, wenn auch nur zaghaft und verhalten, das Finanzsystem an ihre Verantwortung erinnert: „Ausgangspunkt der Finanzmarktkrise ist... ein Mangel an Verantwortung bis hin zur Verantwortungslosigkeit“, mahnt die Evangelische Kirche Deutschlands in ihrer Stellungnahme. Wo das Geld im Mittelpunkt steht, werde das Wirtschaften unmenschlich. Und Papst Benedikt betont in seinem neuen Rundschreiben, das Finanzwesen bedürfe einer „notwendigen Erneuerung seiner Strukturen“, und die Finanzmakler müssten die ethische Grundlage ihrer Tätigkeit wieder entdecken, statt die Sparer zu betrügen.
Jesus provozierte die überhebliche Tempelkaste. Auch die „Geldkaste“ an Börsen und Banken von heute darf nicht so tun, als wäre sie der Nabel der Welt. Sie hat eine bescheidene, aber gleichwohl wichtige Aufgabe zu erfüllen, nämlich die notwendigen Finanzmittel für die Realwirtschaft bereit zu stellen, um damit dem Gemeinwohl zu dienen.



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