Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Lea liebte den falschen Mann. Das heißt, eigentlich war er gar nicht der falsche. Es war ihr eigener Mann, den sie liebte. Bloß: der liebte eine andere. Das war früher ganz in Ordnung so, denn die war auch seine Frau und hieß Rahel. In alten Zeiten war das normal, dass ein Mann mehrere Frauen hatte. Aber Lea war enttäuscht. Sie wollte auch geliebt werden. Wer könnte das nicht verstehen.
Die Bibel erzählt solche merkwürdigen Geschichten. Manche kommen mir so fremd und altertümlich vor, dass ich meine: damit kann man heute nun gar nichts mehr anfangen. Und dann sprechen sie irgendwann doch und sagen einem was Wichtiges. So ging es mir mit der Geschichte von Lea.
Je länger je mehr hatte sie mit ihrer Enttäuschung zu kämpfen. Schließlich konnte sie nichts anderes mehr denken. Alles andere: ihr Wohlstand, ihr soziales Ansehen, ihre Position als erste Frau im Haus bedeutete ihr nichts. Sie wollte diesen Mann und vor allem: seine Liebe. Als sie Söhne bekam, was damals das Wichtigste war in einer Ehe, dachte sie: Jetzt wird er doch sehen, was er an mir hat. Den ersten Sohn nannte sie deshalb Ruben, das bedeutet: „Nun wird meine Mann mich lieb haben“. Den zweiten nannte sie Simeon: „Gott hat mir den gegeben, weil ich ungeliebt bin!“ Und den dritten Levi: „Nun wird mein Mann mir doch zugetan sein, denn ich habe ihm drei Söhne geboren“. Lea konnte nur ihre Enttäuschung sehen. Sogar ihre Kinder erinnerten sie immer nur an das, was sie nicht haben konnte. Und was ihr auch keiner versprochen hatte. Ihr Mann hatte sie zur Frau genommen, weil es vernünftig war. Ihm war – ehrlich gesagt - nichts anderes übrig geblieben. Lea war trotzdem enttäuscht.
Dann wurde ihr vierter Sohn geboren. Den nannte sie Juda. Juda, das heißt: „Nun will ich Gott loben“. Auf einmal kann sie scheints zufrieden sein. Auf einmal kann sie sehen, was sie hat: wunderbare Kinder. Wohlstand, vieles, was ihr Freude machte, jeden Tag.
Ich weiß nicht, was in der Zwischenzeit passiert war. Die Bibel erzählt davon nichts. Ihr Mann hatte sich jedenfalls nicht verändert. Aber mir scheint: Lea hat sich verändert. Sie hat begriffen: Ich habe mich getäuscht. Ich habe mir etwas vorgemacht. Ich habe etwas erwartet, obwohl ich nie wirklich einen Anlass dazu hatte. Lea war jetzt wirklich ent-täuscht. Ihre Täuschung war zu Ende. Und sie konnte das sehen, was ihrem Leben Fülle gab und sich darüber freuen und dankbar sein. Gott sei Dank.
Mir sagt ihre merkwürdige, altertümliche Geschichte: Manchmal haben Ent-täuschungen auch was Gutes.
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