Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Was soll ich denn werden?“ fragt der 12 jährige Vitus seinen schrulligen Großvater. Ich habe den Film Vitus erst vor ein paar Tagen im Kino gesehen. Er hat mich sehr berührt, vor allem die Antwort, die der Großvater gibt und das, was dann passiert.
Vitus ist hochbegabt und er spielt hinreißend Klavier. Er könnte alles werden, die Eltern schlagen ihm Unterricht bei einer berühmten Pianistin vor, aber auch Tierarzt wäre denkbar oder Schreiner, wie der Großvater, Erfinder wie der Vater, oder Pilot. Vitus weiß nicht, was er werden soll. Wenn er eines wählt, wird es ihm dann nicht leid tun, dass er was anderes verpasst hat? Da sagt ihm der Opa: „Wenn man nicht weiß, wie man sich entscheiden soll, dann muss man sich von etwas trennen, was einem sehr lieb ist.“ Dabei lässt er seinen verbeulten Hut, der wie ein Teil von ihm ist, über den Teich fliegen.
Erst hat mich die Antwort empört. Warum soll man sich so was antun?
Dann ist mir eingefallen, dass Jesus genau dasselbe empfohlen hat. Zu dem kam ein junger, sehr reicher Mann, der wollte wissen: „Was muss ich tun, damit mein Leben Bestand hat für die Ewigkeit?“ Dass ich das Gefühl haben kann, ich habe es wirklich richtig gelebt. Das wollte auch der reiche junge Mann, genau wie Vitus, und alles stand ihm offen. Jesus hat ihm geraten: „Verkauf alles, was du hast und gib es den Armen!“ (Mk 10,17-21) Auch er sollte sich von dem trennen, was ihm besonders wichtig war – und dann sehen, was passiert. So kann man das jedenfalls auch verstehen, finde ich. Erst wenn er sich trennt von der Sicherheit, dass er ja immer noch mal was anderes probieren kann, weil ihm so viele Möglichkeiten offen stehen, erst dann wird er sehen, was ihm wirklich etwas bedeutet. Der junge Mann, der zu Jesus kam, hatte davor Angst. Er brauchte die Sicherheit, die sein Reichtum ihm gab. Er brauchte die Sicherheit, dass er im Zweifelsfall immer noch Möglichkeiten hatte. Er hatte Angst davor, alles auf eine Karte zu setzen. Nichts war ihm offensichtlich so wichtig, dass er dafür alles eingesetzt hätte.
Vitus dagegen macht etwas ganz Verrücktes. Er täuscht einen Unfall vor und tut so, als ob alles futsch wäre. Alle seine Begabungen futsch. Vitus kann nicht mehr Klavierspielen und leistet in der Schule nicht mehr als andere Kinder seines Alters. Er ist ein ganz normaler Junge, der nun tun kann, was ihm wichtig ist. Niemand, der ihn mit Ratschlägen und Angeboten bedrängt. Da findet Vitus, was er will und kann sich entscheiden.
Der Film endet mit seinem ersten großartigen Klavierkonzert. Und ich habe begriffen: Wenn man nicht weiß, was einem wirklich wichtig ist, dann muss man sich von etwas trennen, was man sehr lieb hat. Dann wird man es schon merken, denn dann kommt das Leben in Bewegung.
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