Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Einen guten Morgen wünsche ich Ihnen...
Was ist die Seele? Wie erklär ich das? Kann ich das überhaupt erklären?
Natürlich kann ich sagen, dass die Seele im traditionell-christlichen Verständnis das Eigentliche des Menschen ist, das, was den Tod überdauert. Aber das greift mir zu kurz. Weil es den Menschen wieder in Leib und Seele teilt. Und das lässt sich mit dem biblischen Menschenbild nicht in Einklang bringen. Das Leib und Seele als untrennbare Einheit sieht.
Ist die Seele deshalb eher dasselbe wie das Herz, nur eben kein Organ? Oder eine Hirnregion, die reagiert, meine Empfindungen steuert. Durch die ich zutiefst weiß, was mir fehlt, der Ort an dem meine Sehnsucht zu Hause ist?
Ist die Seele der Resonanzraum in mir, mit dem ich auf alles reagiere, das mich berührt, ein Raum, der sich aufmacht oder verschließt?
Ich weiß es nicht. Und ich glaub auch nicht, dass es eine letztgültige Definition von Seele geben kann. Vielleicht hat mich (gerade) deswegen ein Text der Heiligen Hildegard von Bingen sehr angeregt, weiter darüber nachzudenken. Sie schreibt vor beinah 900 Jahren:

Die Seele
ist wie ein Wind,
der über die Kräuter weht,
und wie der Tau,
der auf die Wiesen träufelt,
und wie die Regenluft,
die wachsen macht.

Genauso ströme der Mensch
ein Wohlwollen aus
auf alle, die da Sehnsucht tragen.

Ein Wind sei er, der den Elenden hilft,
ein Tau, indem er die Verlassenen tröstet,
und Regenluft, indem er die Ermatteten aufrichtet
und sie mit Liebe erfüllt
wie Hungernde, indem er ihnen
seine Seele hingibt.


Wenn ich diesen Text nachklingen lasse, dann ahne ich, dass die Seele eher leise Töne kennt und anstimmt. Dass sie ein DU sucht. Dass sie uns ermöglicht behutsam aufeinander zuzugehen, zu erahnen, wer der andere ist, wer ich selber bin. Ein Gespür, für das, was mein Wesen ausmacht und was ich vom Wesen des anderen erahne. Und mir wird einmal mehr bewusst, was für ein großes Geschenk es ist, wenn sich zwei Seelen berühren. Begegnung stattfindet, die eine besondere Qualität hat, die tiefere Schichten erreicht, etwas zum Schwingen bringt.
Von manchen Menschen sagt man: „Sie ist die Seele des Hauses oder er ist eine gute Seele…“ Manchmal werden sie gar belächelt, weil sie so hilfsbereit und scheinbar selbstlos sind. Ich glaub eher, dass Menschen, die so ganz sie selber sind, ein Gespür dafür haben, was dran ist. Und Erfüllung darin finden,
mit Hingabe zu leben.
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