Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Deutschland ist ein Einwanderungsland. Was ich oft gehört und gelesen hatte, konnte ich auf einmal erleben. Von 24 Kindern einer dritten Klasse hatten 17 dieser Mädchen und Jungen ihre Wurzeln anderswo auf der Welt: Ihre Eltern stammen aus Kroatien, Polen, Italien und Kasachstan, aus der Türkei, aus Spanien, Tschechien und Ungarn, aus Frankreich, Portugal und Griechenland, aus Sri Lanka, Vietnam, Nigeria und Gambia. Die Schule, in die diese Kinder gehen, steht nicht in einer Großstadt sondern in einem Vorort von Reutlingen. Noch vor 50 Jahren war der Ort ein schwäbisches Dorf.
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Während ich dies zum ersten mal bewusst erlebe, verstehe ich auch, was das bedeutet.
Diese Kinder können von klein auf zwei Sprachen. In der Schule sprechen und lernen sie deutsch, zuhause hören und sprechen sie ihre Herkunftssprache. Auf der Weltkarte stecken sie stolz ihre Fähnchen dorthin, wo die Eltern oder Großeltern geboren sind. Wenn Fatma Geburtstag hat, backt ihre Mutter Baclavah für alle. Gemeinsam entdecken wir, was Christen an Ostern und Muslime am Zuckerfest feiern.
Keines der Kinder, nicht die Deutschen und nicht die Kinder mit anderer Herkunft grenzen sich deshalb voneinander ab. Sie haben einen Bezug zu ihrer Nationalität – natürlich. Wenn Kroatien gegen Deutschland Handball spielt, ist Grigor selbstverständlich für die kroatische Mannschaft. Und doch ist das, was die Kinder verbindet, gewichtiger als das, was sie trennt. Sie alle lernen lesen, schreiben und rechnen. Sie sind neugierig und haben ganz unterschiedliche Interessen. Sie streiten und vertragen sich wieder. Sie spielen miteinander, sie wetteifern und verlieren ungern. Sie freuen sich, wenn sie gelobt werden. Sie sind darauf angewiesen, dass ich als Lehrerin sehe, wenn sie traurig oder fröhlich sind. Alle Kinder brauchen Anerkennung und Wertschätzung. Und sie brauchen einander in der Gemeinschaft.
Deutschland ist ein Einwanderungsland. In der Schule erleben Kinder die internationale Vielfalt meistens als Reichtum. Mir ist bewusst geworden, welche Chance sie haben, zu lernen, tolerant und respektvoll miteinander umzugehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=6196
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