Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Ich bin völlig am Boden!“, sag ich, wenn ich nicht mehr weiterweiß. – Und jedes Jahr habe ich Gelegenheit, mich in diese Worte einzufühlen. In unserer Kirche gibt es nämlich den Brauch, dass sich zu Beginn des Karfreitagsgottesdienstes die Priester und Priesterinnen auf dem Boden ausstrecken. Anfangs hatte ich damit meine Probleme. Inzwischen spüre ich: Was hier geschieht, hat etwas mit der Ohnmacht und Hilflosigkeit zu tun, die Jesus angesichts des Kreuzes empfunden haben muss. Völlig ausgeliefert steht er da, und nichts anderes kann er tun, als Gott um Hilfe anzuflehen.
Auch wenn sich niemand wünscht, in eine so ausweglose Situation zu geraten – es gibt sie. Und in ihr haben selbst weniger religiöse Menschen das Bedürfnis zu beten.
Für den Apostel Paulus ist das ein Ausdruck der Stärke. In einem seiner Briefe weist er darauf hin, dass Gott das Schwache in der Welt erwählt hat, um das Starke zuschanden zu machen (Erster Korintherbrief 1,27). „Damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott“, fügt er erklärend hinzu (Erster Korintherbrief 1,29). Ich verstehe das so, dass, wer stark ist, keiner Hilfe bedarf und deshalb auch Gott nicht braucht. Starke Menschen verlassen sich auf ihre Kraft und auf ihre Weisheit. Paulus denkt dabei an die Mentalität seiner Zeit. Starke Menschen standen damals in hohem Ansehen. Schwache dagegen verachtete man. Und deshalb konnten seine Zuhörer auch nicht verstehen, warum Christen den gekreuzigten Jesus so sehr verehrten. „Töricht“ nannten sie es. Der Apostel konterte: „Das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen, und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen“ (Erster Korintherbrief 1,25). Deshalb soll, wer sich rühmen will, das nicht so sehr wegen der eigenen Stärke tun, sondern Gottes wegen (Erster Korintherbrief 1,31).
Was Paulus sagt, kann hilfreich sein für Menschen, die ein Problem damit haben, wenn andere oder gar sie selbst sich schwach fühlen und Hilfe brauchen. Viele überspielen das. Sie arbeiten, als gäbe es nichts Wichtigeres im Leben, und sie lächeln, wenn ihnen eigentlich zum Weinen zumute ist.
Jesus war da anders. Er hat sich in der Stunde seines Leidens und Sterbens einfach der Hilfe Gottes überlassen. Christen sehen darin eine Stärke. Sie wissen aber auch, dass in diesem Sinne stark zu sein, keine Selbstverständlichkeit ist. Deshalb bitten sie Gott, er möge ihnen diese Stärke geben. Denn Stärke, die auf Gott setzt statt allein auf die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen, ist eine Gabe des Heiligen Geistes.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6081
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