Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck!“ Sehr guter Spruch, nicht nur weil er so knackig klingt, er ist einfach wahr. Der erste Eindruck ist einmalig, unwiderruflich, nicht wiederholbar. Und er ist gnadenlos schnell und gnadenlos klar.
Wir Menschen „scannen“ uns laut Wissenschaft sekundenschnell, rastern den anderen ab nach Aussehen, Ausstrahlung und Geruch, und ordnen ihn dann ein als gefährlich, oder ungefährlich, interessant oder uninteressant und sympathisch oder unsympathisch.
Oft bleibt dieser erste Eindruck dann auch bestehen. Weil wir den betreffenden Menschen nie mehr gesehen haben, weil die Beziehung oberflächlich geblieben ist oder weil der Mensch tatsächlich so ist wie er beim ersten Eindruck gewirkt hat. Aber oft stimmt der erste Eindruck eben nicht. Weil der andere schlecht drauf war, weil ich selbst eine eingeschränkte Wahrnehmung hatte oder weil er eben nicht so ist wie sein erster Eindruck.
Vor Kurzem hatte ich eine Begegnung, die mir geradezu eine Achterbahn an Eindrücken gebracht hat. Bei einem Essen mit Freunden wurde ich einem älteren Mann vorgestellt. Weil ich dachte, dass die Freunde auch nur sympathische Leute mitbringen, habe ich ihm die Hand gegeben und ihn freundlich begrüßt. Er aber schob seinen Arm nur ein paar Zentimeter vor und schaute stur in genau die Richtung, die kilometerweit von meinem Blick entfernt war. Mein erster Eindruck: Blöder Typ! Da mir dieser Mann auch noch gegenüber saß, musste ich mich mit ihm unterhalten. Und mein erster Eindruck von ihm wurde nicht viel besser als er anfing mich zu provozieren, nachdem er erfahren hatte, dass ich für die katholische Kirche arbeite. Trotzdem stieg ich in den Ring und debattierte mit ihm über Gott und sein Bodenpersonal. Und nach und nach hat mir seine bärbeißige Art auch gefallen. Und mein zweiter Eindruck war: interessant. Weil ich auch merkte welche Verletzungen er als ehemaliger katholischer Internatsschüler erfahren hatte und ich ihn, der ich auch in einem Internat aufgewachsen bin, sehr gut verstehen konnte. Und weil ich gespürt hatte, welch intensives und gutes Drängen in seiner Kritik an der Kirche steckte. Das Drängen nach mehr Echtheit bei Religion, Glaube und Kirche.
Als ich dann später am Abend noch erfuhr, dass er vor kurzem einen Schlaganfall gehabt hatte und seit neuestem dreimal die Woche an die Dialyse muss, hat sich mein Eindruck von ihm dann noch mal verändert.
„Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck.“ Wie wahr! Aber wie gut wenn es noch einen zweiten oder dritten Eindruck gibt, der mir dann die Chance lässt einen Menschen besser kennen zu lernen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=607
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