Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Warum sagt eigentlich die Kirche nichts dazu?“ fragen manche Leute, wenn es um die Wirtschaftskrise geht oder um Kinderarmut in Deutschland. Sie vermissen klare und eindeutige Worte der Kirche zu Missständen in der Gesellschaft.
Und diese Worte sollen am besten von ganz prominenten Vertretern der Kirche ausgesprochen werden. So dass sie in den Nachrichten kommen und alle es mitkriegen.

Ich kann dieses Bedürfnis gut verstehen. Dahinter steckt der Wunsch, dass jemand sagt, was richtig und falsch ist und was wir tun sollen. Und damit es auch alle hören und sich daran halten, muss es jemand sagen, der Autorität hat. Am besten eben „die Kirche“.

Wie schwierig es ist, in der Kirche alle an einen Tisch zu bekommen und neben aller laufenden Arbeit die gesellschaftlichen Probleme zu durchdringen und womöglich auch noch Lösungen anzubieten, das können sich viele nicht vorstellen.

Um so mehr beeindruckt es mich, dass genau dies vor 75 Jahren gelungen ist. Damals haben sich 140 Vertreter aus allen evangelischen Kirchen in Deutschland in Barmen, einem Stadtteil von Wuppertal, getroffen. Gemeinsam haben sie in nur zwei Tagen die „Barmer theologische Erklärung“ verabschiedet.
Darin wandten sie sich gegen Hitler und seine Machtansprüche auf das ganze Leben der Menschen. Mit klaren Worten haben sie gesagt, dass die Christen nur einen Herrn haben und der heißt Jesus Christus. Und dass der Staat nicht das Recht hat, in alle Bereiche des Lebens einzugreifen.

Damals war die Gefahr für die Menschen mit Händen zu greifen. Und trotzdem hat es viel Mut erfordert, dieses Bekenntnis zu formulieren und zu veröffentlichen. Das war nur möglich, weil es eben Menschen gab, die gesagt haben: „Da müssen wir was tun.“
Sie haben nicht gefragt: „Warum sagt die Kirche da nichts?“ sondern für sie war klar: „Wir sind Christen. Darum müssen wir etwas sagen.“ Und das waren nicht nur Pfarrer und Bischöfe, sondern ganz normale Leute aus der Kirchengemeinde.

Wenn wir uns in diesen Tagen daran erinnern, was in Barmen passiert ist, dann wünsche ich mir für die Kirche heute auch so viel Weitsicht und Mut im Blick auf unsere Probleme. Und ich wünsche mir vor allem, dass „die Kirche“ nicht immer die anderen sind. Sondern, dass alle, die zur Kirche gehören, merken: Da bin ich auch mit gemeint. Auch ich gehöre dazu und kann meine Meinung äußern.
Ich glaube, je mehr Leute ihre Meinung auch als Christen sagen, umso mehr wird die Kirche gehört.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6047
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