Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Der Wald meiner Kindheit, gleich hinter unserem Haus. Ich erinnere mich noch genau: Tür auf, und schon war ich draußen. Schnell außer Sichtweite.
Geh nicht weiter als bis zu der Eiche dort oben, hat mir meine Mutter gesagt. Das war die Grenze.
Aber das Unerforschte lockt. Der verbotene Wald. Das fremde Territorium.
Meine Wege führten über die Grenze hinaus. - Nach und nach lernte ich den Wald kennen.
Das ist Entdeckungslust. Die Faszination, die von dem Verbotenen ausgeht. Als erlebten wir ein Stück aus der Bibel am eigenen Leibe.
Sie kennen die Geschichte von Adam und Eva und dem Baum der Erkenntnis, der mitten im Paradiese steht? Esst nicht von diesem Baum, hat Gott gesagt! „Denn wenn ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“ – Doch das Verbotene lockt. „Und das Weib sah, dass es gut war, von dem Baum zu essen.“ Die Geschichte endet nicht gut. Zitternd stehen die beiden am Ende da, Adam und Eva. Sie sind nackt und sie schämen sich. Und sie haben Angst.
Ich habe mich immer gefragt, warum diese Geschichte so ausgeht. Warum dieser Apfel, warum die Schlange, warum die Verführung? Wäre es nicht viel besser gewesen, wenn die Menschheit im Paradies geblieben wäre? Gemütlicher wäre es doch. Und wärmer. Und friedlicher. – Aber alles andere, was uns Menschen zum Mensch macht, gäbe es das auch?
Die Freiheit zum Beispiel. Die gibt es doch nur, wenn ich die Erfahrung mit ihrem Gegenteil gemacht habe, der Unfreiheit. Die Sehnsucht nach Frieden, sie wächst aus der Erfahrung von Leid. Und Mitgefühl kenne ich doch nur, weil ich weiß, wie weh das tut, was meinem Nächsten da passiert ist.
Der Wald meiner Kindheit. Als die Tür auf war, war ich bald außer Sichtweite. Als Adam den Apfel gegessen hatte, jagte Gott ihn aus dem Paradies. – Doch dieser Rauswurf, der macht uns Menschen erst zu dem, was wir sind: Menschen, die wissen, was gut ist und was böse. Wir können unterscheiden, das eine von dem anderen, und wählen können wir – das Gute oder das Böse.
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