Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Morgen feiert die Evangelische Landeskirche in Württemberg mit einem Gottesdienst in der Stuttgarter Stiftskirche ihren 475. Geburtstag. Viele Männer und Frauen haben diese evangelische Kirche in den beinahe fünf Jahrhunderten ihrer Geschichte geprägt, darunter natürlich auch viele Pfarrer und Pfarrerinnen.

Einige von ihnen waren beeindruckende Persönlichkeiten, die viel geleistet haben. Aber, wenn ich ehrlich bin, interessieren mich Menschen besonders dann, wenn sie nicht nur als strahlende Vorbilder dastehen, sondern auch mit Krisen in ihrem Leben fertig werden mussten. So einer war der Pfarrer Christian Gottlob Pregizer, geboren 1751.

Er war ein guter Prediger, er konnte so reden, dass auch die einfachen Menschen ihn verstanden. Jeden Sonntag sind sogar Auswärtige in das kleine Städtchen Haiterbach im Nordschwarzwald gekommen, um den talentierten Pfarrer zu hören. Alles prima, doch mit fast 50 Jahren ist Christian Gottlob Pregizer in eine tiefe Lebenskrise geraten. Er konnte plötzlich keine Gottesdienste mehr halten, er fühlte sich außer Stande zu predigen und bekam furchtbare Angst vor dem Kontakt mit anderen Menschen. Er zitterte schon, wenn er jemanden auf das Pfarrhaus zukommen sah. Pregizer selbst sprach von einem „Trauergeist“, der ihn befallen habe – „Burne-out“ oder „Depression“ würde man seinen Zustand vermutlich heute nennen. Anderthalb Jahre hatte der Pfarrer darunter zu leiden.

Als er wieder gesund geworden war, mochten die Menschen ihren Pfarrer nicht etwa weniger, sondern mehr. Die Kirche wurde jetzt zu klein für die vielen Gottesdienstbesucher, die kamen. Die Zuhörer saßen sogar draußen vor der Kirche auf dem Friedhof. Ich glaube, dass Pregizer nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Krise noch mehr Menschen erreichen konnte als zuvor. Weil er es selbst erlebt hatte, konnte er jetzt auch die Müden, Traurigen und Ausgebrannten besser verstehen. Und er hat auch anders gepredigt: Vor seiner Krise wollte er seine Zuhörer vor allem moralisch auf Vordermann bringen. Nach seinem Burne-out war Gottes bedingungslose Liebe sein Thema Nummer eins. Denn diese Liebe hatte ihm selbst aus der Depression geholfen. Er hatte riesige Angst vor den Anforderungen anderer gehabt, bis er erkannte, dass Gott keine Anforderungen an ihn stellt, sondern ihm seine Zuneigung schenkt, ohne etwas von ihm zu verlangen.

Gott kann viele ganz unterschiedliche Menschen gebrauchen, um in seiner Kirche zu arbeiten. Mir gefällt, dass er auch für die – vielleicht sogar gerade für die – Verwendung hat, die nicht nur die Höhen, sondern auch die Tiefen des Lebens kennen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=5970
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