SWR4 Abendgedanken RP

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Teil I
Wie gehen wir mit Menschen der älteren Generation um? Dieses Thema hat zu allen Zeiten Menschen beschäftigt. Auch in der Bibel nimmt es einen breiten Raum ein. Und in meinem Alltag als Pfarrer begegnet mir diese Frage oft. Drei Anstöße gibt die Bibel dazu. Gedanken, die mir selbst wichtig geworden sind. Da ist zuerst das vierte der zehn Gebote, aufgeschrieben im 1. Buch Mose:

„Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, wie dir der HERR, dein Gott, geboten hat, auf dass du lange lebest und dir's wohlgehe in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird.“

Als Kind dachte ich immer, man wollte mir mit diesem Satz Gehorsam eintrichtern, denn nur brave Kinder, die stets ehren und befolgen, was Eltern sagen, seien gute Kinder. Aber gemeint ist dieser Satz ganz anders. Gott schreibt den Menschen hier einen Satz ins Herz. Und der meint: ehrt und das heißt, versorgt eure alten Eltern. Begleitet sie bis in den Tod. Diese Verantwortung legt Gott den Menschen ans Herz. Und daran haben alle Kinder seitdem manchmal ganz schön zu tragen. Von einer Frau des Alten Testamentes, die dieses Gebot gelebt hat, möchte ich kurz erzählen. Rut heißt sie.
Ihr Mann war mit seiner Mutter Noomi wegen einer Hungersnot aus Bethlehem nach Moab gekommen und hatte sie geheiratet. Doch bald schon starb er, und Rut wurde Witwe. Und so saß sie als Witwe mit ihrer ebenfalls verwitweten Schwiegermutter Noomi da. Anstatt sich allein durchzuschlagen beschließt sie, sich nach Israel aufzumachen, und sie besteht sogar darauf, ihre Schwiegermutter mitzunehmen. Als diese sie drängt allein loszuziehen, da sagt Rut zu ihrer Schwiegermutter einen der schönsten Sätze der ganzen Bibel. Sie sagt:

„Dränge mich nicht, dich zu verlassen und umzukehren. Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe auch ich, da will ich begraben sein. Der Herr soll mir dies und das antun - nur der Tod wird mich von dir scheiden.“

Viele Paare wählen sich diese Sätze als Trauspruch. Und wenn ich als Pfarrer dann darauf hinweise, dass hier eine Tochter zu ihrer Schwiegermutter spricht, sind viele erstaunt und müssen erst einmal lachen.
Wo du hingehst, da gehe auch ich und wo du bleibst, da bleibe auch ich- ein starker Satz einer starken Frau. Und ein starkes Beispiel für ein gelebtes viertes Gebot. Menschen halten zusammen.
In meinem Alltag erlebe ich oft auch das Andere. Menschen sind im Alter allein. Aber zum Glück sind sie dann wenigstens versorgt. Von Ärzten, Sozialstationen, Nachbarn und Freunden. Auch so wird das Alter geehrt. Besonders fasziniert es mich, wenn alte Menschen ihr Leben und ihre Art zu leben selbst in die Hand nehmen. Manche tun es, weil sie auf Gottes Verheißung vertrauen, wie sie im Buch des Propheten Jesaja steht- eine Zusage Gottes an uns alle:

Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet. Ich habe es getan; ich will heben und tragen und erretten.


Teil II
Im Alten Testament erfahren wir von einer Frau mit Namen Rut. Die übernahm Verantwortung für ihre Schwiegermutter, als die allein nicht mehr konnte. Verantwortung übernehmen für die Elterngeneration, das gibt es auch heute noch in vielen Familien. Viele können sich das erst einmal gar nicht vorstellen. So eine Verantwortung übernehmen zu können. Und doch wachsen sie dann irgendwie in sie hinein. Bei Gudrun Beyer war das so. Ihre altgewordenen Eltern lebten bei ihr im Hause mit. Dann wurde bei ihrer Mutter „Demenz“ festgestellt

Im Moment ist man sehr erschrocken, man muss erst mal lernen, damit umzugehen, dass da ja eine Krankheit ist, die auch nie mehr besser wird, es wird halt immer schlimmer. Aber in dem Moment, in dem ich es akzeptiert hatte, dann ging es auch gut.
Gudrun Beyer weiß noch gut, wie schwer es ihrem Vater fiel, die Krankheit der Mutter anzunehmen. Und sie erinnert sich, wie sie selbst in diese Aufgabe hineinwuchs.

Ja, am Anfang denkt man, man schafft es gar nicht. Aber man lernt so peu à peu immer dazu, und irgendwann war es ganz normal. Ich bin morgens zur Mutter, später zum Vater, hab alles gemacht, was zu machen war, war tagsüber auch oft bei ihnen, hab viel gesungen in der Zeit, weil ich mit der Mutter nicht mehr sprechen konnte, ja und dann war das Normalität für mich.

Zwölf Jahre lang hat sie ihr eigenes Leben auf die Pflege der Eltern abgestellt. Hat sie eigentlich etwas in dieser Zeit vermisst? Und wie war das mit der eigenen Familie im Stockwerk über den Eltern.

Ich hab eigentlich nichts vermisst. Im Gegenteil, das hat mich sehr bereichert und ich konnte auch dann gut abschalten. Ich kam von den Eltern hoch in meine Wohnung, dann war wieder volles Leben. Da waren die Kinder, da waren die Enkelkinder, ja, vermisst habe ich gar nichts in der Zeit.

Für solch eine Lebensaufgabe brauchte die damals fast 50jährige Gudrun Beyer viel Kraft. Und auch hier weiß sie sehr genau, woher sie diese Kraft bekam.

Der Glaube hat mir ganz viel geholfen. Ich wusste immer genau, ich muss nicht mehr machen, wie ich auch tragen kann, also mehr wird mir nicht auferlegt. Sonntags in der Kirche habe ich wieder aufgetankt und dann ging das die Woche über. Und wenn es mal gar nicht ging, dann habe ich gebetet. Und dann war es wieder alles okay.

Die Eltern sind nun seit einem Jahr verstorben. Mittlerweile sind die nächsten Generationen ins Haus gezogen. Mit welchen Gedanken sieht Gudrun Beyer nun in die Zukunft.

Ich möchte natürlich auch gern zu Hause bleiben, wenn es mir irgendwann mal so geht, dass ich Pflege brauche. Aber ich glaube, wenn mein Sohn, die Schwiegertochter dazu keine Zeit hätten, würde ich mich auch nicht schwer damit tun, in eine Pflegeeinrichtung zu gehen.

Teil III
Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet. Ich habe es getan; ich will heben und tragen und erretten.
So lässt Gott es den Propheten Jesaja verkünden und ich stelle mir vor, wie alte Menschen damals es hörten und ermutigt wurden, auch diesen Abschnitt des Lebens noch einmal selbst zu gestalten, noch einmal sich neu aufzumachen und neu anzufangen. Das galt auch für Marga Feld. Ihr Mann ist vor vielen Jahren verstorben. Sie lebte in einer Dreizimmerwohnung und hätte das durchaus auch noch eine Weile tun können. Aber sie entschied sich anders und machte vor zwei Jahren den Schritt in ein betreutes Wohnen. Noch gut erinnert sie sich an die erste Zeit im Elisabeth-Jäger-Haus in der kreuznacher diakonie. Und auch an das Heimweh, das sie natürlich packte.

Es war schon nicht ganz einfach aus meinem schönen gewohnten Bereich auszuziehen, aber ich dachte, es ist wohl das Richtige. Zuerst war ich hier ja im Grunde durch das Umziehen und das Einleben stark beschäftigt. Da habe ich also auch noch kein Heimweh gehabt. Das kam erst später, nachdem ich hier erst wirklich Fuß gefasst hatte, hab ich hier eigentlich noch mehr an früher gedacht und ein Stück Heimweh gehabt. Und man kann auch in einer großen Gemeinschaft einsam sein. Aber dazu muss man selber einiges tun, um die Einsamkeit wieder zu verändern.

Für sie ist das Leben im Elisabeth-Jäger-Haus der kreuznacher diakonie ein Wenig wie ein Nachhausekommen. 27 Jahre war sie hier “Schwester Marga“ beruflich tätig. Und genauso wie es damals ihr Entschluss war, die Diakonie zu verlassen, so war es nun ihr Entschluss, wieder dorthin zurückzukehren. Und damals wie heute war es der gleiche Gott, von dem sie sich bei diesem wichtigen Schritt begleitet wusste.

Also ich glaube, im wahrsten Sinne des Wortes, dass Gott mir sehr geholfen hat in dieser schwierigen Zeit. Die aber jetzt nicht mehr so schwierig ist. Und ich habe felsenfest darauf vertraut, dass Gott mir hilft und immer wieder dafür gebetet.

Ich sehe Marga Feld oft, wenn sie zu unserem wöchentlichen Taizé-Abendgebet in unsere, in ihre frühere Gemeinde nach Winzenheim kommt. Und ich freu mich immer sehr, wenn es ihr dabei sichtlich gut geht. Alles Heimweh ist überwunden und ein Neuanfang geschafft. Rückblickend nach zwei Jahren findet sie in ihren Entschluss noch immer richtig.

Was ich hier genießen kann ist eine gewisse Freiheit und dieses Gefühl: Du bist jetzt versorgt, du brauchst dir keine Gedanken zu machen, wie das wird, wie musst du einziehen, oder ausziehen, das ist vorbei. Hier kann ich bleiben, in dem sogenannten „Betreuten Wohnen“, bis ich wirklich sozusagen am Ende bin. …Darum bin ich jetzt froh und dankbar, dass der Weg so gelaufen ist. Es hat sich gelohnt, ja! https://www.kirche-im-swr.de/?m=5947
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