SWR4 Abendgedanken RP

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„Ganz die Mutter” oder „ganz der Vater” sagen wir manchmal und machen uns so ein Bild von einem Menschen. Wir glauben dann, im Bild zu sein. Über Bilder, die einengen, und solche, die Freiraum geben.


Teil I

Marilyn Monroe auf dem Lüftungsschacht,
Willy Brandts Kniefall am Warschauer Ghetto,
das Flugzeug, das am 11. September 2001 in das World Trade Center einschlägt -
Stichworte genügen, und schon haben wir die Bilder vor Augen. Was für uns entweder sehr erfreulich oder außerordentlich schockierend, jedenfalls völlig unerwartet war, das bewahren wir in unserem Langzeitgedächtnis auf. Und zwar in Form eines Bildes. Solche Bilder graben sich ein, hinterlassen Spuren in unserem Bewusstsein und - das wissen wir durch die Psychoanalyse - auch im Unbewussten.

Dann sagen wir: „Das ist wirklich so”. Obwohl wir wissen: Bilder lassen sich manipulieren. Ein Bild zeigt niemals objektiv die Welt. Es zeigt eine Welt, wie sie der Fotograf, der Maler sieht, oder wie er sie gern hätte.

Auch von uns selbst, von den andern, von der Welt haben wir uns ein Bild gemacht: So bin ich. So bist du. So ist das Leben. Wir sind erstaunt, wenn wir erleben, dass in der Regel fremde Menschen uns liebenswerter finden, als wir das von uns sagen können.

„Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Abbild machen von dem, was im Himmel, noch von dem, was unten auf der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!” So lautet eines der Gebote im Buch Mose des Alten Testaments. Das Bilderverbot hat offensichtlich einen so hohen Stellenwert, das es sich in allen Religionen findet, die sich auf Abraham als Stammvater berufen, also im Judentum, im Islam, im Christentum.

Das biblische Gebot erinnert uns daran, dass wir die Bilder, die wir uns gemacht haben, auch immer wieder loslassen müssen. Warum? Damit wir uns entwickeln können.

Wer einen Menschen auf ein endgültiges Bild festlegt, ist allzu schnell mit diesem Menschen fertig. Da braucht es dann keine Achtsamkeit mehr im Umgang miteinander. Da braucht es keinen verstehenden, keinen ermunternden Blick mehr, kein einfühlendes Wahrnehmen. Man ist schließlich im Bilde. Wozu komplizierte Sachverhalte erläutern, wo man sie mit einfachen Erklärungen glattbügeln kann?

Auch Adel schützt nicht vor der Verführung durch eingängige Bilder. Da glaubte die Fürstin Gloria von Thurn und Taxis es in einer Fernseh-Talkrunde auf den Punkt bringen zu können. Warum gibt es in Afrika so viele AIDS-Kranke? Na klar, sagte sie, das läge nur daran, dass die Schwarzen - so ihr Bild - besonders viel „schnackseln”. So sagt man in Bayern, wenn man „viel Sex haben” meint. Die Schwarzen dort würden also besonders viel Sex haben. Warum? Weil es in Afrika eben wärmer sei als bei uns im kühlen Norden. In solch einem Klima „schnacksele” man halt viel lieber. So einfach ist das.

Nein - selber denken, Bilder, die einem angeboten werden, prüfen, ob sie der Wahrheit dienen oder nur Vorurteile bedienen.

Die Bibel meint: Menschen sollen frei sein von einengenden Bildern. Damit sie frei werden für verborgene Möglichkeiten Gottes. Dazu mehr nach der nächsten Musik.


Teil II

„Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Abbild machen von dem, was im Himmel, noch von dem, was unten auf der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!” So lautet das Bilderverbot im Alten Testament der Bibel.

Das Bilderverbot ist Gottes Widerspruch dagegen, dass wir uns Gott verfügbar machen. Und zugleich ist es der Widerspruch Gottes dagegen, dass wir uns des Mitmenschen bemächtigen, ihn nach unserem Bild formen und ihn damit seiner Einzigartigkeit berauben.

Mit dem biblischen Bilderverbot ist nicht gemeint, dass ein Digitalfoto Teufelswerk ist, oder dass ein Maler nicht mehr zu seinem Pinsel, ein Bildhauer nicht mehr zu Hammer und Meißel greifen sollen. Nein, es geht um etwas Anderes. Nämlich um den rechten Umgang mit Bildern. Warum? Bilder können einen so in Beschlag nehmen, dass Grenzen sich verschieben. Aus Vorstellungen, die wir uns machen, kann unter der Hand und oft auf dramatische Weise Wirklichkeit werden.

Natürlich kommen mir da sofort die Opfer mancher Amokläufe in den Sinn. Da haben Menschen ihr Leben verloren, weil sich für den Amokläufer die Grenzen verwischt haben. Der konnte nicht mehr unterscheiden zwischen Bild und Wirklichkeit, zwischen Spiel und Ernst.

Ich möchte nicht bei den spektakulären, den dramatischen und erschütternden Szenen bleiben. Ich möchte weitergehen zu unserem ganz alltäglichen Zusammenleben. Und ich frage: Wie gehen wir mit Bildern um?

Zum Beispiel in einer Partnerschaft. Da glauben zwei Menschen nach langen Jahren des Zusammenlebens längst über einander im Bild zu sein. Doch manche Ehepaare müssten sich heute nicht verachten, hätten sie sich nicht zuvor jahrelang vergeblich bemüht, den Partner nach dem eigenen Bild zu formen. Kein Mensch hat so viel Macht, einen andern gegen dessen Willen zu verändern. Am Ende geht es über die eigene Kraft; man fühlt sich erschöpft und verbittert.

Ich finde, es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, wenn ein Paar sich in einer Krise gemeinsam beraten lässt. Selber finden sie über die starren Bilder nicht hinaus, die einer vom andern im Kopf trägt. Sie brauchen Hilfe von außen. Es gibt auch Paare, die müssen geradezu erlöst werden von dem Idealbild, das sie sich von einer guten Partnerschaft gemacht haben. Es gibt schließlich kaum einen größeren Druck für zwei Menschen, als unter allen Umständen ein harmonisches und glückliches Paar darstellen zu wollen. Die Harmonie kann allenfalls das Ergebnis eines gemeinsamen Weges sein; sie versteht sich nicht von selbst.

Mit fremder Hilfe kann ein Paar wert zu schätzen lernen, was zunächst nicht „ins Bild gepasst hat. Aber gerade das, was anfangs sperrig und unbequem war, kann weiterführen. An den sperrigen Ideen über einander kann man sich reiben und dabei zu kreativen Lösungen finden. Was sperrig schien, kann eine Partnerschaft lebendig erhalten.


Teil III

Frühere Generationen haben sich von der Kirche sagen lassen, wie sie ihr Leben zu führen haben, welche religiösen Bilder und Symbole sie für ihre Lebensgeschichte in Anspruch nehmen können. Diese Zeiten sind vorbei. Manche mögen das bedauern und sich dadurch orientierungslos fühlen. Andere ziehen es vor, sich selbst ein Bild zu machen, statt sich eins vorsetzen zu lassen. Selber schauen, selber denken, mündig glauben. Doch wenn ich es recht sehe, dann bleibt auch heute die Erwartung an Kirche und Theologie: sie sollen Bilder und Symbole von Schutz und Bewahrung zur Verfügung stellen, die jeder dann in eigener Entscheidung in sein Leben einpassen kann oder nicht.

Wann sind Bilder oder Symbole lebensförderlich? Wenn sie uns helfen, die Wahrheit ins Bild zu setzen. Und die Wahrheit über uns lautet: Der Mensch, also wir alle sind als Gottes Bild geschaffen. Und als Gottes Bild sind wir alle letztlich ein Geheimnis. Und dieses Geheimnis wird bewahrt und geschützt in der Menschenwürde. Wir können von der Menschenwürde nicht nur sprechen, wir müssen auch für sie eintreten, wo sie verletzt wird. Die Menschenwürde verdient sich keiner durch Perfektion. Die Würde hat auch der, der in seinem Beruf nur mittelmäßig ist. Niemand kann seine Würde verlieren. Warum? Weil sie auf etwas beruht, das sich unserer Verfügung entzieht: dass wir Ebenbild Gottes sind. Ebenbild Gottes - das ist die Umschreibung dafür, dass Gott zu uns in Beziehung getreten ist und uns dadurch beziehungsfähig gemacht hat. Gott hat uns angesehen, und darüber sind wir ansehnlich geworden, hochgeschätzt und wert geachtet. Das macht unsere Würde aus. Kein Mensch hat uns diese unsichtbare Krone der Menschenwürde aufgesetzt. Deshalb kann uns auch keiner diese unsichtbare Krone wieder nehmen.

Der Dichter Jochen Klepper hat es auf den Punkt gebracht:

Ohne Gott bin ich ein Fisch am Strand,
Ohne Gott ein Tropfen in der Glut,
Ohne Gott bin ich ein Gras im Sand
Und ein Vogel, dessen Schwingen ruht.
Wenn mich Gott bei meinem Namen ruft,
Bin ich Wasser, Feuer, Erde, Luft.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5863
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