Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Weinend sitzt sie vor mir, die kleine, italienische Mutter, alleinstehend und arbeitslos seit vielen Jahren. Warum hat sie nur versäumt, dem Job-Center die Lohnerhöhung ihres Sohnes bekannt zu geben, der bei ihr im Haushalt wohnt? Nun kämpfen sie beide mit einer Rückzahlung von eintausend Euro, die sie, wie es im schönen Amtsdeutsch heißt, zu Unrecht bezogen haben.
Milliardenschwer spannt man in diesen Tagen „Rettungsschirme“ über „notleidende Banken“, aber die „Witwen und Waisen“ lässt man im Regen stehen. Mit 18 Milliarden Euro wurde eines dieser maroden Geld-Institute wieder flott gemacht. Das ist dieselbe Summe, die sich in einem Jahr fünf Millionen „Hartz IV-Empfänger“ teilen müssen.
„Gnadenlos gerecht“, jubelte damals bei der Einführung des „Arbeitslosengeldes II“ ein Politiker. Tatsächlich – diese Gnadenlosigkeit haben inzwischen Millionen von Betroffenen zu spüren bekommen, auch diese italienische Witwe und ihr Sohn, die nun die „zu Unrecht bezogene Leistung“ in monatlichen Raten abstottern müssen.
Die Bibel geht mit sozialer Gerechtigkeit schonender und sorgsamer um. So zum Beispiel ist die Nachlese bei der Getreideernte für die Armen bestimmt. „Wenn du einen Ölbaum abgeklopft hast“, heißt es im 5. Buch Mose im Alten Testament (22, 20), „sollst du nicht auch noch die einzelnen Zweige absuchen. Was noch hängt, soll Fremden, Waisen und Witwen gehören“. Das war „Hartz IV“ im Volk Israel – unbürokratisch, praktisch, gut.
Missbrauch von Sozialleistungen ist auch angesichts der kriminellen Machenschaften an den Kapitalmärkten nicht zu beschönigen. Wie aber soll man heute den Ärmsten in der Gesellschaft vermitteln, dass sie mit aller Härte drangsaliert werden, während man Milliarden in Banken und Unternehmen pumpt und ihren Managern noch satte Abfindungen hinterher wirft? Sind das nicht auch „zu Unrecht bezogene Leistungen“?Das passt schlecht zusammen.
Wir wären gut beraten, in dieser Krise auch die Armen und Arbeitslosen unter den Schirm zu nehmen. Dabei geht es ja gar nicht nur um höhere Richtsätze, sondern vielmehr auch um berufliche Förderung und Qualifizierung. Sollte das gestrandete Schiff der Weltwirtschaft wieder flott kommen – und das bleibt zu hoffen, bedarf es einer hoch motivierten und fähigen Mannschaft, sonst säuft der Kahn endgültig ab.
Gerade in der Krise wäre es ein Gebot der Gerechtigkeit und der ökonomischen Vernunft, in „man power“ zu investieren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=5847
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